Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

SCHUBERT, Peter: Der österreichisch-italienische Gegensatz im Spiegel der Militärattachéberichte aus Bern (1908–1915)

258 Peter Schubert mänischen79) oder im Fall eines eindeutigen Erfolges der Entente auf dem türkischen Kriegsschauplatz80). Von den seit Kriegsbeginn laufenden und seit dem Jahreswechsel 1914/15 auch durch deutsches Engagement intensivierten Verhandlungen zwischen Österreich-Ungarn und Italien über die Kompensationsfrage81) zeigte sich der k. u. k. Militärattache in Bern nur wenig informiert82). Die gleichzeitig mit der Entente geführten Gespräche über einen italienischen Anschluß an dieses Bündnis scheinen hingegen so gut wie gar nicht in den Akten auf83). Inzwischen begannen beide Seiten ihre Kriegsvorbereitungen auch in der Schweiz zu verstärken, die als ideale Relaisstation für den Nachrichtendienst beider Mächte angesehen wurde. Während Italien neben den unter diploma- ticher Immunität stehenden Spionagezentren — wie etwa dem Militärattache und seinen Mitarbeitern84) — vor allem auch die bisherige soziale Hilfsorga­nisation für Auslandsitaliener „Opera Bonomelli“ in den Nachrichtendienst einbaute85), stützte sich die Donaumonarchie, soweit es höhere Positionen im zukünftigen Nachrichtendienst betraf, hauptsächlich auf Personen, die offi­ziell im Gesandtschafts- bzw. Konsulardienst standen. Als einer der ersten dieser Spionageorgane kam im Februar 1915 Hauptmann Gotthard Schulhof in die Schweiz und wurde als Vizekonsul in Lausanne tätig, von wo er sehr rasch ein weitläufiges Agentennetz knüpfte86). Im Mai folgten mehrere Flüchtlinge aus Italien, darunter der k. u. k. Konsulatsangestellte Pelka, der seine Agenten von Genf aus nach Italien entsandte und durch seine bisherige Tätigkeit über Lokalkenntnis und persönliche Beziehungen verfügte, die er gut nützen konnte87). Zu diesen Flüchtlingen ist auch einer der wichtigsten österreichischen Nachrichtenleute zu zählen, nämlich Ing. Eduard Rasim, der, bis dahin als Baumeister und Ingenieur in Italien tätig, nicht nur ein eigenes Spionagenetz über Italien legte, sondern auf dessen Konto auch zahlreiche Sabotageakte in Italien gehen dürften88). 79) Ebenda 1915 Jänner 22, Res. Nr. 60; Österreich-Ungarns letzter Krieg, hg. vom österreichischen Bundesministerium für Heerwesen und vom Kriegsarchiv, 2 (Wien 1931) 7. 80) KA Mil. Att. Bem 1915 März 6, Res. Nr. 218. 81) österreichisch-ungarisches Rotbuch. Diplomatische Aktenstücke betreffend die Beziehungen Österreich-Ungarns zu Italien in der Zeit vom 20. Juli 1914 bis 23. Mai 1915 (Wien 1915); Hermann Möcker Die Haltung Italiens von der Neutralitätserklä­rung bis zur Intervention (August 1914 bis Mai 1915) (ungedr. Hausarbeit zur Lehr­amtsprüfung an der Universität Wien 1962). 82) KA Mil. Att. Bern 1915 März 7, Res. Nr. 226: dort erstmals erwähnt, von da an öfter, meist jedoch nur gerüchteweise oder aus Zeitungen. 83) Schubert Militürattaché 53f. 84) Max Ronge Meister der Spionage (Leipzig — Wien 1935) 254. 85) Ronge Kriegs- und Industriespionage 320. 86) Ebenda 146f; Schubert Militürattaché 306ff. 87) Ebenda 310. 88) Ebenda 337, 356ff. Entgegen den bisherigen Angaben in der Literatur (etwa Ronge Kriegs- und Industriespionage 220; Hans Hugo Sokol Österreich-Ungarns Seekrieg 1914-1918 [Zürich - Leipzig - Wien 1933] 244ff; Klemens Walzel Kund-

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