Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

SCHUBERT, Peter: Der österreichisch-italienische Gegensatz im Spiegel der Militärattachéberichte aus Bern (1908–1915)

Der österr.-ital. Gegensatz im Spiegel der Militarattachéberichte 257 Deutschen Reiches den italienischen Kriegseintritt nicht unwesentlich er­leichtert haben dürften72). Was die Möglichkeit einer Neutralitätsverletzung anbelangte, zeigte sich die eidgenössische Presse besonders berührt. So berichtete der Militárattaché über eine Stellungnahme der Gazette de Lausanne — an und für sich ein en­tentophiles Blatt, bei dem allerdings ein vom k. u. k. Ministerium des Äußern empfohlener Korrespondent untergekommen war73) - zu dieser heiklen, von Italien, der Donaumonarchie und der Schweiz jedoch immer einseitig gese­henen Frage: „Wenn die italienische Presse fortfährt, vom ,pericolo svizzero“ zu sprechen, so sind wir verpflichtet, dies zur Kenntnis zu nehmen und selbst Maßnahmen zu treffen - überdies ist dies schon geschehen .. ,“74). Daß dabei der letzte Zusatz durchaus mißverständlich war, zeigte ein hoffnungsvoller Bericht von Oberst von Einem am nächsten Tag75). Die Reaktion der italienischen Presse ließ jedoch den Militárattaché aufhor­chen, denn dort schrieb gerade das von Benito Mussolini geleitete Blatt der Interventionisten durchaus freundlich als Antwort auf ähnliche eidgenössi­sche Berichte: Die in der Schweiz geltenden politischen Richtlinien schlössen einen militärischen Bündnisvertrag mit der Donaumonarchie aus, weshalb die Angst vor einer Schweizer Intervention unbegründet sei76): womit die Stoßrichtung eines italienischen Kriegseintrittes immer deutlicher wurde. Inzwischen hatte der Militárattaché in Bern — und wohl kaum nur er — Be­richte nach Wien übersandt, die auch den Schlüssel für das Datum des ita­lienischen Kriegseintrittes beinhalteten: Ende Dezember hatte Italien 200.000 Reservisten einberufen, die nach Meinung Einems bis Ende April ausgebildet sein mußten77); und im ersten Monatsdrittel des Februar 1915 wurde die Dienstpflicht für einige Kategorien — die ursprünglich bis Ende Februar vor­gesehen war - bis 31. Mai 1915 verlängert78), sodaß der Mai des Jahres 1915 als kritischer Monat gelten konnte, da zu diesem Zeitpunkt Italien ohne wei­tere Mobilmachungsaktionen die größte Truppenstärke unter Waffen haben würde. Lediglich der politisch auslösende Faktor war ungewiß, erwartete man doch den italienischen Kriegseintritt entweder gemeinsam mit dem ru­72) Italien importierte jährlich 5,373.000 Tonnen Kohle (1902) (Michels Italien von heute 137f), somit bedeuteten 6.000 Tonnen täglich 40,75% des italienischen Frie­densbedarfs. Der italienische Kohlen- bzw. Energieträgermangel durchzieht bis 1918 die wirtschaftliche Berichterstattung des Müitárattachés in Bern; vgl. dazu auch Silvio Crespi Verlorener Sieg. Italien und die Alliierten 1917-1919 (München 1919). 73) KA Mil. Att. Bern 1915 Februar 7/8, Res. Nr. 124. 74) Ebenda 1915 März 11, Res. Nr. 235. 75) Ebenda 1915 März 12, Res. Nr. 240. 7<s) Ebenda 1915 Februar 7/8, Res. Nr. 124. 77) Ebenda 1914 Dezember 31, Res. Nr. 396. 78) Ebenda 1915 Februar 10/11, Res. Nr. 135. Mitteilungen, Band 33 17

Next

/
Thumbnails
Contents