Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

SCHUBERT, Peter: Der österreichisch-italienische Gegensatz im Spiegel der Militärattachéberichte aus Bern (1908–1915)

254 Peter Schubert lien und die Eidgenossenschaft Noten aus, die das bisherige Mißtrauen aus­räumen sollten: Italien anerkannte nun endlich die Schweizer Neutralität, während Bern die Absicht bekräftigte, jeden Neutralitätsbruch zu verhin­dern42). Dieser Notenaustausch stellte — wenn er auch nicht nur gegen die Donaumo­narchie gerichtet war43) — wahrhaft kein gutes Zeichen für Österreich-Un­garn dar: Die Einigung zwischen Italien und der Schweiz mußte die strategi­sche Lage der Donaumonarchie an der Südwest-Grenze ebensosehr ver­schlechtern, wie diese italienischen Aktivitäten eine verschärfte Gangart des Königreiches gegen Österreich-Ungarn erwarten ließen. Doch eine tatsächliche Sprengung des österreichisch-schweizerischen „Bündnisses“ fand nicht statt: Die politischen Führungen mögen diesem No­tenaustausch Wert beigemessen haben, und auch die italienische Heereslei­tung zog bald ihre Konsequenzen44), die noch zu erwähnen sein werden. Die eidgenössischen Militärs jedoch blieben mißtrauisch, — und dies nicht zuletzt auf Grund massiver österreichischer Gegenaktionen: So kündigte das Mari­neevidenzbüro über das Landesverteidigungskommando Tirol für die Nacht vom 19. auf 20. September — also dem Zeitpunkt unmittelbar nach dem ita­lienisch-schweizerischen Notenaustausch — einen Angriff italienischer Frei­scharen über Schweizer Gebiet nach Südtirol an45); ein Angriff, von dem der sonst über die Vorgänge in Italien gut unterrichtete Militärattache in Bern46) erst durch die Nachrichtenabteilung des AOK informiert wurde47), - und der dann auch nicht stattfand. Nun könnte man dies noch als Fehlinformation abtun, die bei militärischen Nachrichtendiensten Vorkommen kann, doch sprechen immerhin zwei wich­tige Fakten für eine absichtliche Täuschung: Das Datum und die auffallende Parallelität zu dem von Sprecher in den Punktationen von 1908 genannten wahrscheinlichsten Kriegsgrund, nämlich Grenzverletzung durch Freischa­ren. Noch klarer zeigen sich die österreichich-ungarischen Aktionen vom Jänner 1915, denn diese stellten eindeutig Aktivitäten des Generalstabes der Do­naumonarchie zur Wiedergewinnung der Schweiz gerade zum Zeitpunkt der akut werdenden Krise um Italien dar. Am 3. Jänner hatte Sprecher Einem 42) Edgar R. Rosen Italien und das Problem der schweizerischen Neutralität im Sommer 1914 in Schweizer Zeitschrift für Geschichte 6 (1956) 1 106-112. 43) Cadorna soll angeblich durch einen englischen Offizier Informationen erhalten haben, daß Deutschland mit Zustimmung der hohen deutschfreundlichen Schweizer Militärs einen Durchmarsch durch Schweizer Gebiet nach Südfrankreich plane: ebenda 106ff. 44) Hugo Schäfer Die Kriegspläne Italiens gegen Österreich-Ungarn in Öster­reich-Ungarns letzter Krieg Ergänzungsheft 2 (Wien 1931) passim. 45) Rudolf Pfersmann-Eichtal Standschützen und Tiroler Grenzschutz 1914/15 in Österreichische militärische Zeitschrift 2 (1967) 113-117. 46) Kundschaftsmeldungen aus Italien im fraglichen Zeitraum: KA Mil. Att. Bern laut Exhibitenprotokoll Res. Nr. 134, 135, 136, 139, 140, 141, 142, 149. 47) KA Nachrichtenabteüung/AOK an Mil. Att. Bern, 1914 September 16, Res. Nr. 153 — laut Exhibitenprotokoll.

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