Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

SCHUBERT, Peter: Der österreichisch-italienische Gegensatz im Spiegel der Militärattachéberichte aus Bern (1908–1915)

252 Peter Schubert akkreditiert war, davon erfuhr und die Schweizer Militärs dadurch zu größe­rer Vorsicht gezwungen wurden28). Allerdings bedeutete dies kein Ende der Zusammenarbeit, sondern eher das Gegenteil: Der Krieg gegen Italien stand weiter für beide Partner im Vorder­grund, nur wurde die Planung nun schon durch praktische Vorbereitungen abgelöst. Neben gegenseitigen Manöverbesuchen, die selbst dann erfolgten, wenn andere ausländische Gäste von den entsprechenden Übungen fernge­halten wurden29), stellten vor allem Verhandlungen um den Verkauf österrei­chischer Geschütze an die Schweiz ein entsprechendes Indiz dar. Und gerade diese Geschütze zeigen, wie ernst Sprecher die Angriffsplanung war: Obwohl unter dem Titel einer mobilen Geschützreserve für die Gotthardbefestigung ausgewiesen, handelte es sich tatsächlich um schwere Wurfgeschütze zur Niederkämpfung der neu errichteten italienischen Festungen30), also um reine Angriffswaffen, — wobei noch fraglich ist, wie weit im militärischen Führungsgremium der Schweiz Conrads Gedankengut, Festungen hätten hauptsächlich zur Deckung des Aufmarsches für eine Offensive zu dienen31), Eingang gefunden, das Mißtrauen gegenüber Italien verstärkt und die An­kaufsabsicht der Eidgenossen mitgeformt hatte. In diese Entwicklung fielen die Schüsse von Sarajevo, die Julikrise und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und damit für den österreichisch-schweize­risch-italienischen Fragenkomplex zunächst die Klärung zweier wichtiger Punkte: Die Eidgenossenschaft blieb in ihrer Neutralität, und auch das de facto noch immer im Dreibund mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich verbündete Italien zog sich auf eine neutrale Position zurück, — eine Haltung, die bereits in den letzten Friedensjahren von den Bündnispartnern eigentlich erwartet und nicht zuletzt durch den deutsch-englischen Gegen­satz bestimmt wurde32) und die durch die agressive Politik Deutschlands - wie von Fritz Fischer33) und Immanuel Geiß dargelegt34) — und durch die zumindest zeitweise vorhandenen imperialistischen Tendenzen der Donau­monarchie gegenüber Serbien zumindest erleichtert wurde. Obwohl durch die geänderte Gesamtlage Europas andere Fragen an Wichtig­keit gewannen, blieb für Österreich-Ungarn und die Schweiz der italienische Fragenkreis von Bedeutung: Der im Frühjahr 1914 neu ernannte k. u. k. Mili­28) Dannecker Schweiz und Österreich-Ungarn 285ff. 29) Ebenda 240 ff; vgl. auch KA Neue Feldakten, K. u. k. Armeeoberkommando (AOK), Archiv des Militürattachés Bern (in der Folge zit. KA Mil. Att. Bern) 1914 Juli 6, Res. Nr. 36. 30) Dannecker Schweiz und Österreich-Ungarn 270. 31) Conrad Dienstzeit 2 76. 32) Görlitz Kleine Geschichte des Generalstabes 158; Robert Michels Italien von heute. Politische und wirtschaftliche Kulturgeschichte von 1860 bis 1930 (Zürich - Leipzig 1930) 187. 33) Fritz Fischer Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18 (Kronberg/Ts. 1977); dsbe Krieg der Illusionen. Die deutsche Po­litik von 1911-1914 (Kronberg/Ts. 1978). 34) Geiss Julikrise passim.

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