Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

HEINDL, Waltraud: Aspekte der Ehescheidung in Wien um 1900. Grenzen und Möglichkeiten der Erforschung des Problems

244 Waltraud Heindl kann, schädigt mich meine Ehegattin durch Provokation derartiger Skan­dale in meinem Erwerbe“, so reagierte der Rauchfangkehrermeister V., Vorstand der Genossenschaft der Rauchfangkehrer, auf die Beschimpfungen seiner Ehefrau auf der Straße93). „Die Gegnerin befolgte nicht meine Wei­sungen, welche ich ihr betreffs des Familienverkehrs erteilte“, kommentierte ein Bronzewarenerzeuger die Weigerung seiner Frau, die Beziehungen mit ih­ren fünf Kindern aus erster Ehe abzubrechen, und motivierte seine Ehe­scheidungsklage mit der Tatsache, daß sich seine Frau über sein „Verbot“ hinwegsetzte, selbst die Geschäfte ihrer Metallwarenfabrik zu führen94). Be­stimmte Ausdrücke erinnern an die Position eines Erziehers einem unmündi­gen Kind gegenüber: Ein Hausbesitzer „verwies“ seiner Frau ihr „ungehö­riges Benehmen“ und verlangte, daß sie „das Verweilen in Herrengesellschaft einstelle“, er „verbot“ ihr, zu ihren Schwestern zu fahren95), etc. Formulierungen dieser Art sind in den Ehescheidungsprozessen der städti­schen Unterschichten kaum anzutreffen. Doch auch dort wird der patriar­chalische Familienvater in der Diktion hin und wieder bemerkbar, beson­ders, wenn es sich um die Rechtfertigung von Mißhandlungen handelt. So begründete der Hausbesorger Johann Ch. die Mißhandlungen seiner Frau mit der Entschuldigung, daß seine Frau „Unfolgsamkeit“ gezeigt habe96), der Gemischtwarenverschleißer K. mit „Herrschsucht“ seiner Frau97), der Ver­goldergehilfe K. strafte seine Frau für „ihre Keckheit“ mit Schlägen98 *). Die patriarchalische Form der Ehe scheint um 1900 noch völlig intakt gewe­sen zu sein. Offensichtlich fühlte sich auch der Ehemann der Unterschichten als absolutes Oberhaupt in Ehe und Familie, was im gesetzlich auch zu- stand"). Ob er als solches auch von der Ehefrau uneingeschränkt akzeptiert wurde, scheint angesichts ihres Scheidungsverhaltens zumindest fraglich. Fassen wir die Ergebnisse der Analyse der Ehescheidungsmotivation, wie sie in den Akten erscheint, zusammen, so müssen wir festhalten, daß die Mög­lichkeiten der Erforschung eng begrenzt sind. Die im einzelnen Fall jeweils tatsächlich relevanten Ehescheidungsgründe sind kaum mit einiger Sicher­heit festzustellen. Was die Klarlegung allgemein gängiger Vorstellungen und Wertsysteme in bezug auf die Ehe betrifft, so dürfen wir einige vorsichtige 93) WLSTA Cg 2, n. 294/1898. 94) WLSTA Cg 2, n. 1012/1898. 95) WLSTA Cg 1, n. 298/1904. 96) WLSTA Cg 1, n. 271/1903. 97) WLSTA Cg 1, n. 131/1904. 98) WLSTA Cg 1, n. 196/1904. ") Das österreichische Ehegesetz ging, um dem Mann die autoritäre Stellung zu si­chern, noch über ähnliche Bestimmungen in anderen Ländern hinaus und bezeichnete den Ehemann nicht nur als „Haupt der Familie“, sondern noch ausdrücklich in dieser Eigenschaft als „Leiter des Hauswesens“ (§ 91 ABGB). Durch eine ausdrückliche Ver­pflichtung der Frau, „die von ihm [dem Ehemann] getroffene Maßregeln sowohl selbst zu befolgen als befolgen zu machen (§ 92 ABGB), nahm sie rechtlich etwa „die Stel­lung einer Haushälterin ein“, die für die Ausführung der Anordnungen des Hausherrn verantwortlich, dabei aber selbst unselbständig war: Weber Ehefrau und Mutter 344.

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