Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

HEINDL, Waltraud: Aspekte der Ehescheidung in Wien um 1900. Grenzen und Möglichkeiten der Erforschung des Problems

Aspekte der Ehescheidung in Wien um 1900 229 meiden. Eindeutig bevorzugt wurde die einverständliche Ehescheidung oder die Ehetrennung, wenn man nicht katholischer Religion war. Das Verhältnis zwischen einverständlichen, prozessuellen Ehescheidungen und Ehetrennun­gen stellte sich z. B. im Jahr 1903 folgendermaßen dar41): einverständliche prozessuelle Ehescheidungen Ehetrennungen Müitär 17 0 0 Beamte, Anwälte, Ärzte, Lehrer, Gelehrte 95 8 16 Journalisten, Schriftsteller, Schauspieler, Künstler 16 2 2 Industrielle, Gewerbe­treibende, Kaufleute 119 44 38 Rentiers 23 1 2 Arbeiter, Gehilfen 222 65 5 Bedienstete 40 9 0 sonstige Berufe 27 9 5 Es ist anzunehmen, daß nicht nur das finanzielle Motiv — ein einverständli­ches Ehescheidungsverfahren kam billiger, da es kürzer war - ausschlagge­bend war. Wichtig war sicher auch die Tatsache, daß die einverständliche Ehescheidung dezenter abgewickelt werden konnte, da nicht die Notwendig­keit bestand, die negativen Seiten des Ehe- und Familienlebens auszubreiten. Deshalb dürfte die einverständliche Scheidung gerade in der bürgerlichen Schicht als eleganter empfunden und daher bevorzugt worden sein. Eindeu­tig überwiegen in der Statistik besonders bei der sogenannten „freien Intelli­genz“ die einverständlichen Ehescheidungen und die Ehetrennungen42). Da­bei fiel sicherlich ins Gewicht, daß in diesen Berufen der Großstadt Wien sehr viele jüdische Glaubensangehörige vertreten waren, denen diese leichte­ste Art der Ehelösung, die Ehetrennung, möglich war43), während bei der 41) Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien für das Jahr 1905 50. 42) Auch Englisch Ehelösungsstatistik 479. 43) Ebenda 481.

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