Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

SCHRÖCKER, Alfred: Die Amtsauffassung des Mainzer Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn (1655–1729)

120 Alfred Schröcker Franz die gleiche Position gegenüber der Bamberger Regierung ein65). Eine absolutistische Autoritätsentscheidung fand nicht statt. Wie Lothar Franz dennoch gelegentlich sein Interesse gegen den Buchstaben des Gesetzes wahrte, mag ein anderer Fall aus dem Handwerk illustrieren. Der geschickte Bamberger Maurer Johann Georg Dauger, den Lothar Franz in Bamberg be­nötigte, mußte unter Druck in die entsprechende Zunft aufgenommen wer­den. Soweit der rechtmäßige Weg. Um den Kurmainzer Deserteur Dauger je­doch zunftfähig zu machen, hatte ihm der Mainzer Obristwachtmeister Welsch, der bekannte Baumeister, einen ordentlichen Entlassungsschein des Mainzer Heeres auszustellen66). Als Prüfstein für die Frage, ob ein absolutistischer Fürst wirklich „über allen bisherigen positiven Rechtsverhältnissen“ stand, ob er „die oberste Rechts­quelle“ war67), wurde von vielen zeitgenössischen Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts das Begnadigungsrecht bzw. genauer seine Begründung ange­sehen, weil daran im Gegensatz zur gewöhnlichen Gerichtsbarkeit die außer­ordentliche Stellung des Fürsten deutlich wurde; hier entschied er ausdrück­lich gegen das geltende positive Recht68). Aus dem Entscheidungsbereich des Schönborn lassen sich dazu einige Beobachtungen anführen. In der speziellen Frage der militärgerichtlichen Todesurteüe handelte Lothar Franz meistens aus seiner vollen Amtsgewalt gegen die Militärgerichte, in­dem er für Deserteure Begnadigung zur Schanzarbeit aussprach69). In zivilen Rechtssachen war er der Todesstrafe ebenso abgeneigt. Die Scheu davor mochte teüs aus dem Bewußtsein kommen, vor dem göttlichen Richter für eine unwiderrufliche Tat zur Verantwortung gezogen zu werden; teils mochte sie durch die eigene Furcht vor dem Sterben bedingt sein, die in ängstlicher Sorge um die Gesundheit und in der beständigen Überlegung zum Ausdruck kam, vielleicht doch nicht mehr lange zu leben und für den Todesfall die „Famüie“ sichern zu sollen. Aus solchen persönlichen Motiven heraus wollte Lothar Franz auch in schweren Fällen nicht einfach kraft Amtsgewalt han­deln und die Urteile ratifizieren, sondern verwies in Fragen von Leben und Tod lieber auf eine erneute Beratung des Gerichts70). Oder er ließ in einem Fall von Blutschande dem Recht seinen Lauf, weil er keinerlei Ansatz zur Begnadigung fand; ein Strafnachlaß hätte nach seinen eigenen Worten „de 65) Korr. LF mit Aufseß (Statthalter Bamberg) 1703/04: StA Ba. B 76 I 6 und 7; „ex plenitudine potestatis“, 1704 Februar 9, LF an Aufseß: ebenda 7 fol. 161. 66) 1712 Juli 12, LF an Maximilian von Welsch: MEA Militaria 42. 67) Wagner Europa 86f. 6S) Martin Lipenius Bibliotheca reális juridica, 5 Bände (Leipzig 1757-1813, Nachdruck New York 1970) führt bis 1647 fünf Titel auf, von 1649 bis 1700: 23 Titel, von 1701 bis 1714: 9 Titel; von 1715-74: 17 Titel, bis 1813 nur mehr 5 Titel unter dem Stichwort aggratiandi jus; in der ersten Auflage (Frankfurt 1679) waren es insgesamt nur drei Titel. 69) Zahlreiche Beispiele: MEA Militaria 23b bis 47; StA Ba. B 61 II. 70) Z. B. ausdrücklich in einer Bamberger Sache betreffs Totschlag: 1698 Juni 9, LF an Aufseß: StA Ba. £7112 fol. 82.

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