Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)
SCHRÖCKER, Alfred: Die Amtsauffassung des Mainzer Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn (1655–1729)
Lothar Franz von Schönbom 121 absoluta potestate“ geschehen müssen71), d. h. nach einer legitimen Willkür des Fürsten, die nur auf der Amtsgewalt beruhte, ohne Anhaltspunkte im Recht. Dabei ist zu beachten, daß in einer moralischen Tradition, die zum Teil noch heute wirksam ist, solche sittlichen Verfehlungen als das Schlimmste angesehen wurden, was es je geben konnte. Daraus resultierte für Lothar Franz doch gelegentlich eine ungewöhnliche Strenge. Um dem „publicum“ seine Satisfaktion zu geben, lehnte er beispielsweise eine Strafmilderung ab, die - vom Mainzer Kanzler Lasser vorgeschlagen — darin bestand, daß eine junge, minderjährige Frau heimlich mit dem Schwert enthauptet und nicht öffentlich gehängt werden sollte. Sie hatte nach einer viertelstündigen Folter gestanden, ihren Vater umgebracht zu haben72). Die Auffassung des Herkommens als des gültigen Rechts erhellt auch aus einem Beispiel, das nichts mit den Reichsstiften zu tun hatte. Lothar Franz unterstützte den Versuch der Nürnberger Gold- und Silberdrahtzieher, mit Hilfe der Zunftordnung lästige Konkurrenten auszuschalten. Er hielt das traditionelle Recht für maßgebend. Daß er allerdings für seine Stellungnahme belohnt wurde, ist nicht belegt, jedoch zu vermuten. Trotz kurfürstlicher Unterstützung drangen die Nürnberger Drahtfabrikanten beim Reichshofrat nicht durch73). Die Rechtsauffassung des Lothar Franz ging davon aus, daß das Recht der Verfügung des Fürsten entzogen war. Anläßlich des Bamberger Judenpogroms von 1699 drückte Lothar Franz diese Einstellung einmal sehr deutlich aus. Obwohl er gegen die rebellischen Untertanen voller Zorn war — hatten sie sich doch gegenüber seiner landesväterlichen Vorsorge als undankbar erwiesen — und auch die Beiziehung Würzburgischer und Gothaer Truppen befahl, so stellte er dennoch klar fest, daß es ihm „nicht zukommet, simpliciter zu befehlen, was man gegen die Verbrecher vornehmen soll“; das sei Sache einer streng durchzuführenden Justiz74). 71) 1710 Juni 17, LF an Karg: StA Ba. B 56/4 (Blutschande im Amt Lichtenfels, Urteil der Regierung: Todesstrafe). Daß LF ebenso wie die Bamberger Regierung im Rahmen der traditionellen christlichen Moral dachte, ist selbstverständlich; deshalb waren sexuelle Verfehlungen strafwürdiger im Vergleich zur Wirtschaftskriminalität. Eine scharfe Äußerung liegt beispielsweise auch zum Inzestfall Mayer in Alterlangen vor: 1698 Mai 17, LF an Aufseß: StA Ba. B 711 2 fol. 50. 72) Korr. LF mit Lasser 1721 April: MEA Korr. 106; vgl. aber auch 1724 November 21, LF an Lasser: MEA Korr. 109 (LF läßt ein Urteil wegen Blasphemie und Mord gegen stud. iur. Hieronymus Gottfried Tenzel, Sohn des Erfurter Hofrats Dr. Tenzel, überprüfen, weü ihm die Strafe zu niedrig angesetzt scheint). 73) Korr. LF mit Gudenus, 1701 März: MEA Korr. 59 fol. 54 und 103; 1701 März 9, LF an Gudenus: „Es auch ohnedem sehr unbillig und imgerecht wäre, wenn diese Leute auf solche Weis um ihre iura und privilegia sollten gebracht werden“. Die Belohnung des LF wird nicht genannt, ist jedoch üblicherweise vorauszusetzen. 74) 16 9 9 Mai 5, LF an Statthalter Aufseß: StA Ba. B 711 2 fol. 578. Zur Sache: Alfred Schröcker Jüdische Finanziers des Fürstbischofs Lothar Franz von Schönborn (1655-1729) in Jahrbuch für fränkische Landesforschung 37 (1977) 134 Anm. 88 mit Quellen- und Literaturhinweisen.