Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)
SCHRÖCKER, Alfred: Die Amtsauffassung des Mainzer Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn (1655–1729)
Lothar Franz von Schönborn 119 Trotz Freiherrn- und Reichsgrafenstand (1671/1701) gehörten Lothar Franz und sein Haus nach Herkunft, Besitz und reichsstiftischen Interessen zur fränkisch-rheinischen Ritterschaft. Im Gegensatz zu den absoluten Monarchen60 61) will also der Schönborn nicht die ständisch-partikularen Gewalten wie das Domkapitel oder die Ritterschaft ausschließen bzw. alle Bereiche sich selbst als Fürst Vorbehalten. Weitere unterschiedliche Beispiele zeigen die allgemeine Dimension von Schönborns Rechtsauffassung. Trotz aller territorialen Abgrenzung und einer gegenteiligen Verordnung seines Onkels Johann Phüipp genehmigte Lothar Franz den Bewohnern von Lohr (Main) weiterhin die Heirat mit Würzburger Untertanen, weil das Herkommen für die Lohrer sprach62). Ein andermal schützte Lothar Franz die Vergabe des Wasenmeister- und Scharfrichteramtes durch Mainzer Beamte gegen den Zugriff der kurfürstlichen Zentralbehörden63). Aus dieser Haltung ergibt sich folgerichtig ein Weg der Problemlösung. Lothar Franz traf ausdrücklich nur sehr ungern Entscheidungen aus der „potestas absoluta“ des Landesherrn. Entweder empfahl er eine gütliche Beilegung64), wie er sie in großen und kleinen, privaten und öffentlichen Rechtssachen von vornherein für den besten Weg ansah, oder die Regierung mußte erneut versuchen, durch Verhandlungen dennoch zum gewünschten Ziel zu gelangen. Am Fall des Schuhmachergesellen Lorenz Klinger läßt sich gut aufzeigen, welches Dilemma daraus entstehen konnte. Lothar Franz wollte die Zunftordnung unbedingt gewahrt wissen. Er weigerte sich wiederholt gegen den Rat der Bamberger Regierung, Klinger „ex plenitudine potestatis“ die Berufsausübung in Bamberg zu ermöglichen, weü die Handwerksordnungen den Konsens der Meister vorschrieben. Lothar Franz legte der Regierung nahe, durch Geld oder andere Mittel die Meister zur Zustimmung zu bringen. Als man damit keinen Erfolg hatte, sollte Klinger sein Handwerk wenigstens auf dem Land ausüben, damit er nicht an den Bettelstab komme. Als mit dem Schneiderhandwerk ein ähnliches Problem auftauchte, nahm Lothar für fränkische Geschichte, Würzburg und Neustadt/Aisch 1965—1978) nn. 4280-82; Hanns Hubert Hofmann Adelige Herrschaft und souveräner Staat. Studien über Staat und Gesellschaft in Franken und Bayern im 18. und 19. Jahrhundert (München 1962) 104f. 60) Z. B. 1700 September 15, Schwäbische Kantone an LF: „weltberühmte Äqua- nimität“ des LF, „vornehmste Grundsäulen des Deutschen Reichs“, das einzige „Asylum“ des Reichsadels etc.: ME A RTA 302 fol. 14f. 61) Malettke Fragestellungen 141. 62) 1709 Februar 18, Kanzler Berninger an Stadion: HHStA Wien Nachlaß Stadion 2. Lohr war praktisch eine Mainzer Exklave, durch den Spessart von größeren Kurmainzer Siedlungen getrennt. 63) 1707 Januar 14, LF an Stadion: MEA Korr. 103b. 64) 1718 September 16, LF an Lasser: MEA Korr. 104.