Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)
SCHRÖCKER, Alfred: Die Amtsauffassung des Mainzer Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn (1655–1729)
Lothar Franz von Schönbom 117 observantia“49). Wie bedeutend dieser Grundsatz war, ist zweifellos auch an der üblichen Einschätzung von Präzedenzfällen abzulesen, der Lothar Franz und der in den Reichsstiften etablierte Adel im allgemeinen anhingen: Man war ängstlich darauf bedacht, jeden möglichen Präzedenzfall von vornherein zu verhindern, damit sich später niemand darauf als auf geltendes Recht berufen konnte. Wenn es nicht mehr anders ging, billigte man die Tatsachen und wahrte den Rechtsstandpunkt mit einer Salvationsklausel50). Neuerdings wird ein wesentliches Kennzeichen der absoluten Monarchie darin gesehen, daß der Souverän „keiner unabhängigen, institutionell-rechtlichen Kontrolle“ unterworfen sei51). Auch unter diesem Aspekt ergibt sich für die beiden Reichsstifte unter Lothar Franz ein negativer Befund: Die Domkapitel, eine Art ständischer Vertretung, hatten erhebliche Befugnisse wie Finanzkontrolle, Zustimmung bei Besitzveränderungen des Stiftes u. a.52). Karl Wild stellte in seiner Biographie von 1904 das Verhältnis des Lothar Franz zum Mainzer Domkapitel so dar, als wollte der Kurfürst in absolutistischer Gesinnung das Gremium in seinen Rechten beschneiden53). Lothar Franz und die Regierung opponierten aber nur sehr begrenzt und schließlich nur an solchen Stellen gegen das Domkapitel, wo bereits die Vorgänger gekämpft hatten, in strittigen Fragen, die nicht durch eine Observanz gesichert waren, beispielsweise in der alten Streitfrage der Steuerbewilligung. Dagegen ist das Argument des Lothar Franz beachtenswert, mit dem er 1718 entschied, daß das Mainzer Domkapitel ein Original des Kurmainzer Vertrages mit Hessen-Darmstadt ausgehändigt bekam. Das Domkapitel berief sich auf das Herkommen unter Kurfürst Johann Philipp von Schönbom und anderen Vorgängern. Johann Phüipp von Stadion, der Kurmainzer Großhofmeister und neben Kanzler Lasser der entscheidende Mann der Regierung, billigte das Exempel der Vorgänger nicht; er witterte den Versuch des Domkapitels, sich als Vertragspartner auszugeben. Stadion wandte sich dabei aber auch ausdrücklich gegen den möglichen Anschein, als wollte er die Rechte des Domkapitels beschneiden, und akzeptierte voll die Kommuni- kations- und Konsenseinholungspflicht des Kurfürsten „in rebus arduis“, 49) J. J. Beck 1738 nach Rudolf Endres in Handbuch der bayerischen Geschichte, hg. v. Max Spindler, 3/1 (München 1971) 352. Über das ritterschaftlich orientierte Denken aus der Sicht des LF u. a. Schröcker Nepotismus, Die jungen Jahre und Bischofswahlen. 50) Exemplarisch einer von vielen Fällen: Schröcker Die neunte Kur. 51) Malettke Fragestellungen 144. 52) Schröcker Domkapitel mit weiterer Lit.; dazu Rudolf Vierhaus Wahlkapitulationen in den geistlichen Staaten des Reiches im 18. Jahrhundert in Herrschaftsverträge, Wahlkapitulationen, Fundamentalgesetze, hg. v. Rudolf Vierhaus (Veröffentlichungen des Max-Planck-Institutes für Geschichte 56, Göttingen 1977) 205—219; über das Mainzer Domkapitel neuerdings, jedoch für die vorliegende Fragestellung nicht ergiebig: Günter Rauch Das Mainzer Domkapitel in der Neuzeit, 3 Teile, in ZRG KA 61-63 (1975-77) 161-227, 194-278, 132-179. 53) Karl Wild Lothar Franz von Schönbom, Bischof von Bamberg und Erzbischof von Mainz 1693-1729 (Heidelberg 1904) 40 ff.