Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

SCHRÖCKER, Alfred: Die Amtsauffassung des Mainzer Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn (1655–1729)

116 Alfred Schröcker betont45). Diese stark abgemilderte Absolutismus-Theorie scheint eine Mög­lichkeit zu eröffnen, auch im stiftischen Bereich absolutistische Züge zu fin­den. Doch kommt es hier wohl wesentlich auf die Akzente an, und diese wei­sen bei Lothar Franz von Schönbom in eine andere Richtung. Der Kurfürst entschied sich für das Herkommen, für die Observanz, für das alte Recht. Sein materieller Rechtsbegriff war nicht positiv; er anerkannte prinzipiell das gewachsene Recht der Privilegien und Freiheiten. Das Gesetz bestand für ihn nicht in einer ausnahmslosen Geltung. „Es ist aber keine Regul so fest und ferm, so nicht ihren Abfall leidet“, dozierte er einmal für seinen Neffen Rudolf Franz Erwein46). Nicht auf den Buchstaben kam es an, sondern auf die Umstände. Ein straffer Legalismus lag Lothar Franz fern. Seine Geset­zesauffassung korrespondierte mit der Achtung des Herkommens. Das Recht war nicht ein Gesetzesrecht, das kraft Setzung allgemeingültig feststand, sondern mußte im einzelnen gefunden werden. Diese Rechtsauffassung war einheitlich, nicht gespalten in einen Bezug nach außen im Rahmen des Reichs und nach innen in der Regierung der Stifte. Denn im Reichsrecht vertrat Lothar Franz das Herkommen ebenso fest ge­genüber dem Kaiser, den Reichsständen, selbstverständlich auch gegenüber dem Papst47). Die Observanz, das traditionell geübte Recht, bildete die Grundlage allen Reichsrechtes. Darüber hinaus kannte er freilich „leges pragmaticae“, ein Recht, das seine Gültigkeit kraft Setzung erhielt; es han­delte sich beispielsweise um Friedensschlüsse48). Diese „leges“ bedurften aber der Zustimmung der Betroffenen. Die Wurzel dieser Rechtsauffassung liegt in der reichsritterschaftlich-adeli- gen Herkunft des Lothar Franz. Die Selbstbehauptung dieses Adels beruhte zum großen Teil darauf, daß er das Herkommen, die eigenen Privüegien ver­teidigen konnte, auch wenn er sie unter dem Vorwand der Verteidigung manchmal ausweitete. Vor allem im Bereich der Domkapitel und Reichsstif­te, in dem sich Lothar Franz von Jugend auf hauptsächlich bewegte, war die Observanz die Grundlage allen Rechtes. In dieser reichsritterschaftlich-stif- tisch geprägten Region gab es den Grundsatz: „In Franconia non est ius, sed 45) Morrill French Absolutism 962; vgl. dagegen aber Ogris De sententiis 175 über das „Staatsrecht des Absolutismus“. 46) 1716 Dezember 24, LF an Rudolf Franz Erwein von Schönborn: MEA Korr. 101 betreffs Frankfurter Kommission des Melchior Friedrich von Schönbom und seines Sohnes Rudolf Franz Erwein; Rudolf Franz Erwein will unbedingt die strafrechtliche Untersuchung gegen einen Juden einleiten, der Melchior Friedrich bestochen hatte; LF ist dagegen; zur Sache allgemein Hohenemser Frankfurter Verfassungsstreit (vgl. oben Anm. 17). 47) Vgl. beispielsweise „iura statuum“ bei Schröcker Ein Schönbom 9, 35, 40, 60 f, 63, 88, 109; ebenda Kap. 2 über den befürchteten Umsturz des Reiches. Über das Verhältnis zum Papst: Alfred Schröcker Zur Religionspolitik. Kurfürst Lothar Franz von Schönbom. Ein Beitrag zum Verhältnis zwischen Adel und Kirche in Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde NF 36 (1978) 206ff (Kap. 4). 48) 1717 März 23, LF an FK: MEA Korr. 94.

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