Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)
SCHRÖCKER, Alfred: Die Amtsauffassung des Mainzer Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn (1655–1729)
Lothar Franz von Schönborn 115 mois ni vous serons tousjours Archi- et Vicechancellier de l’Empire“38). Eine ähnliche Einstellung akzeptierte er bei den Domkapitularen, die für die entgangene bzw. durch ihre Stimme vergebene Chance, das fürstliche Amt als Pfründe zu nützen, einen erheblichen Ausgleich durch Bargeld und andere Amtspositionen verlangten39). Im übrigen weist auch das Hauptmotiv, aus dem Lothar Franz 1693 bis 1699 die Bischofsstühle von Bamberg, Mainz und Würzburg anstrebte, nämlich „Fortune“ im materiellen Sinn zu machen, auf diese Pfründensicht des Amtes hin40). Das Amt als Pfründe ist dabei allerdings nicht als kurzzeitiges Ausbeutungsobjekt zu sehen, sondern auch mit großen Leistungen verbunden, die durch Religions-, Stifts- und Reichspolitik zur Erhaltung dieser Pfründe beitragen. Sieht man einen wesentlichen Zug des Absolutismus darin, daß der Staat „Selbstzweck“41) war, dann weisen gerade die hier behandelte Trennung zwischen öffentlich und privat, das stiftische Amt als Pfründe, die Verbindung zwischen stiftischem Wahlamt und Hauspolitik und das reichsstiftische System an Rhein und Main als Pfründe des in Domkapiteln und auf fürstbischöflichen Stühlen etablierten Reichsadels darauf hin, daß der Schönbom keinen Absolutismus im Sinn hatte. Wie sehr die konkrete Amtsauffassung des Lothar Franz diesem Grundansatz entspricht, erhellt aus den folgenden Ausführungen. Theoretisch verstand sich Lothar Franz als absolute Spitze seiner beiden Reichsstifte. Als Regenten stand ihm die „potestas absoluta“ oder „plenitudo potestatis“ zu42). Darin bestärkten ihn die beiden Regierungen, indem sie ihm in einzelnen Fragen nahelegten, gegen das Herkommen zu entscheiden. In der gängigen Theorie des Absolutismus war der Herrscher nicht an Gesetze gebunden, aber an das Recht43); allerdings sollte der Souverän auch an Gewohnheitsrecht gebunden sein, z. B. an das Thronfolgerecht oder an ein Gewohnheitsrecht der Untertanen44), ein Aspekt, den die neuere Forschung 38) 1711 Oktober 3, LF eigh. an FK: AW Korr. FK 14. 39) Schröcker Domkapitel 153 Anm. 47. Darin typisch für „Adel“ überhaupt: John H. Kautsky Funktionen und 'Werte des Adels in Legitimationskrisen des deutschen Adels 1200-1900, hg. v. Peter Uwe Hohendahl und Paul Michael Lützeier (Stuttgart 1979) 14: „Adlige Politik ist also ein unaufhörlicher Wettbewerb um Pfründe und Positionen“. 40) Schröcker Bischofswahlen passim. 41) Wilhelm Mommsen Zur Beurteilung des Absolutismus in Absolutismus (s. oben Anm. 1) 77. 42) Zum Begriff Werner Ogris De sententiis ex plenitudine potestatis. Ein Beitrag zur Geschichte der Kabinettsjustiz vornehmlich des 18. Jahrhunderts in Festschrift für Hermann Krause, hg. v. St. Gagnér, H. Schlosser und Wolfgang Wiegand (Köln-Wien 1975) 171-187, besonders 173-175. Im Bereich der Schönborn siehe das Folgende; ein zeitgenössischer Titel: Martinus Schrader Tractatus de sententiis principum ex potestatis plenitudine latis. Von derer Fürsten und Herren Macht-Sprüchen (Lipsiae 1708) nach Ogris 175 Anm. 14. 43) Malettke Fragestellungen 143. 44) Ebenda.