Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)
SCHRÖCKER, Alfred: Die Amtsauffassung des Mainzer Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn (1655–1729)
114 Alfred Schröcker Damit ist bereits zu einem weiteren Sinn von Öffentlichkeit in der reichsstif- tischen Adelswelt um 1700 übergeleitet, der wieder den bürgerlichen Kategorien öffentlich und privat näher steht, aber zeitgenössisch nicht mit diesen Ausdrücken bezeichnet wird. Es handelt sich um das gesamte repräsentative Erscheinen vor der „Welt“: vor den eigenen Standesgenossen. Die Trennung von öffentlich und privat beruhte in diesem Sinn nicht auf öffentlich-staatlichen Funktionen, sondern war im staatlichen Repräsentativbau genauso möglich wie im eigenen Schloß. Ein Adeliger vom Typ des Lothar Franz grenzte nicht einen privaten, von Regierungsamt und Repräsentation freien Lebensbereich von der offen sichtbaren „Welt“ ab. Er repräsentierte immer und wäre deshalb im bürgerlichen Sinne immer in der „Öffentlichkeit“ gestanden. öffentlich war alle Schauseite, das den Standesgenossen und dem Volk zugängliche Gesicht, einschließlich des geäußerten Wortes. Der Gegensatz war nicht ein abgeschlossener Lebensbereich, wie ihn der Bürger besaß, sondern die Vorgänge hinter der Kulisse, die nicht zum Image und zum öffentlichen Selbstbild paßten. Der Akzent in den beiden Kategorien „öffentlich“ und „privat“ in diesem Sinn ist eindeutig verteilt: Was privat ist, verträgt den Blick der Standesgenossen oder gar des Volkes nicht; es weist mitunter pejorative Züge auf. Was öffentlich ist, wird mit dem Gemeinwohl, mit einem positiv bestimmten Image in Verbindung gebracht. Auf dieser Grundlage lassen sich „privatum“ und „publicum“ im oben dargelegten Sinn mit öffentlich und privat, wie es hier gemeint ist, verknüpfen. Je mehr sich ein regierender Adeliger und sein Haus vor der „Welt“ mit den allgemeinen und deshalb öffentlichen Interessen identifizierten, desto stärker trat die „private“ Seite in den Hintergrund, desto ungestörter konnte sie sich aber auch in Finanzen, Besitz und Ämterpatronage entwickeln. Auf diese Weise kam eine dauernde Verflechtung von öffentlich-staatlichem und privatem Interesse zustande. Sie ist nicht einfach als moralische Fehlleistung zu betrachten, etwa an einem Dienstethos gemessen, oder als befristete Nutzung eines Spitzenamtes. Trotz aller Trennung in die zwei Kategorien „öffentlich“ und „privat“ im dargestellten Sinn läßt sich die Frage stellen, ob nicht die zwei Kategorien in der Welt des hier behandelten Adels eine untrennbare Einheit bildeten, und zwar ähnlich wie bei der politischen Religiosität das religiöse und politische Moment. Doch sprechen gewichtige Gründe dagegen. Das Wahlsystem und die Regierung auf Zeit (am Haus gemessen) verobjektivierten den „Staat“ der Reichsstifte und ermöglichten damit nicht nur dem heutigen Beobachter, sondern auch Lothar Franz und seinen Adelsgenossen die Unterscheidung. Die Trennung ermöglichte es Lothar Franz, das Fürstenamt privat, nämlich als Pfründe für sich und für das Haus Schönborn zu nützen. Dies war Lothar Franz bewußt, wenn er beispielsweise seinem Neffen Friedrich Karl 1711 über die erwarteten Belohnungen durch das Haus Österreich anläßlich der Kaiserwahl schrieb: „II faut profiter de l’occasion, mon eher neveu, car ni