Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

SCHRÖCKER, Alfred: Die Amtsauffassung des Mainzer Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn (1655–1729)

110 Alfred Schröcker Diese referierte Trennung zwischen privaten und öffentlichen Angelegenhei­ten ist im folgenden, ausgehend von der Terminologie, allgemeiner zu unter­suchen. Das zeitgenössische Verständnis der Kategorien „privatum“ und „publicum“, an die sich hier die Ausdrücke „öffentlich“ und „privat“ halten, ist durch die Abgrenzung gegenüber der bürgerlichen und nach-bürgerlichen Auffassung des 20. Jahrhunderts zu verdeutlichen20). Die Ausdrucksweise wurde auf zwei verschiedenen Ebenen verwendet. Im Verhältnis der Reichsstände un­tereinander bezeichnete „privat“ ähnlich wie „partikular“ das Sonderinter­esse des einzelnen Reichsstandes gegenüber dem „öffentlichen“ und allge­meinen der Gesamtheit, das ethisch seit Jahrhunderten unbedingt den Vor­rang hatte. Beispielsweise sprach Lothar Franz Ende 1707 einmal von „der privatorum Konvenienz“ und meinte dabei diejenigen Fürsten, welche die Einnahmen aus dem in Reichsacht befindlichen Kölner Erzstift erhielten; im selben Brief fügte er hinzu: „heutigentags die Privatutilitäten denen gemein­nützigen Sachen gemeiniglich prävalieren“21). Dabei war jedoch das allge­meine Wohl nicht aus der Summe der Einzelinteressen abgeleitet, sondern verbal aus der Reichseinheit, in Wirklichkeit von den Interessen der kleine­ren Reichsstände wie der Reichsstifte, die auf die schützende Funktion des Reiches angewiesen waren, während sich die großen armierten Reichsstände zunehmend nach ihren Machtchancen richteten22). Hierbei ist beachtenswert, daß Lothar Franz gelegentlich den Ausdruck „das treumeinende publicum“ für die reichsfreundlichen Kräfte verwendete, wobei er sich selbst besonders einschloß23 24). Das Interesse des „publicum“ bestand im übrigen in einer selbstlosen Verteidigung gegen den Reichsfeind Frankreich, selbst wenn man nicht direkt davon bedroht war, in der Rechtsgleichheit der Reichsstände, in der Erfüllung von Reichsbeschlüssen und -gesetzen. Das verwerfliche Son­derinteresse wurde durch einzelne Reichsstände praktiziert2A). Diese Sicht geht nahtlos zur zweiten Ebene über. Denn in den Reichsstiften, 20) Jürgen Habermas Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu ei­ner Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft (Neuwied-Berlin 31968) 11 ff; Lucian Hölscher Öffentlichkeit und Geheimnis. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung der Öffentlichkeit in der frühen Neuzeit (Sprache und Geschichte 4, Stuttgart 1979) 69ff weist auf die Mehrdeutigkeit der Attribute publicus und öffent­lich in der frühen Neuzeit hin. 21) 1707 Dezember 17, LF an FK: AW Geb. Korr. LF/FK. Vgl. den Überblick bei Walter Merk Der Gedanke des gemeinen Besten in der deutschen Staats- und Rechts­entwicklung in Festschrift Alfred Schultze, hg. v. Walter Merk (Weimar 1934) 451-520. 22) Alfred Schröcker Ein Schönbom im Reich. Studien zur Reichspolitik des Fürstbischofs Lothar Franz von Schönbom (1655—1729) (Beiträge zur Geschichte der Reichskirche in der Neuzeit 8, Wiesbaden 1978) 5ff, 45ff. 23) 1718 Oktober 18, LF eigh. an FK: AW Korr. FK 20; Anlaß: Nachricht über die glückliche Entbindung der Kaiserin, „aber nicht mit dem Trost, worauf das treumei­nende publicum mit so sehentlichem Verlangen gewartet“ (d. h. Geburt einer Tochter). 24) Vgl. Schröcker Ein Schönborn 18f, 33f; „Privatkonvenienz und Interesse“ (von Reichsständen): ebenda 19.

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