Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)

NEUHAUS, Helmut: Ferdinands I. Reichstagsplan 1534/35. Politische Meinungsumfrage im Kampf um die Reichsverfassung

Ferdinands I. Reichstagsplan 1534/35 27 An diese Verfassungskontroverse der Jahre 1532 bis 1534 zwischen dem Kur­fürsten von Sachsen einerseits und seinen übrigen Mitkurfürsten andererseits erinnerte mehr als ein Jahrhundert später der hessen-darmstädtische Ge­sandte bei den Verfassungsberatungen des Fürstenrates in Osnabrück und brachte damit an der Jahreswende 1645/46 fast vergessene Überlegungen in die Diskussion um den Neubau der Reichsverfassung am Ende des Dreißig­jährigen Krieges ein12). Schon vorher hatte Kardinal Richelieu die Wieder­herstellung eines reinen Wahlkaisertums im Reich ins Auge gefaßt, und er war dabei soweit gegangen, daß „nicht nur die Wahl bei Lebzeiten des regie­renden Kaisers verboten werden [sollte], sondern auch die Erhebung zweier Kaiser aus dem gleichen Hause nacheinander“12a). Über die hiermit zusam­menhängenden Fragen gab es aber auch schon seit 1531 eine Diskussion in gegenüber dem Hause Habsburg oppositionellen Kreisen der Reichsstände. In der kursächsischen Instruktion vom 17. April 1532 für die Schweinfurter Be­ratungen tauchte die Forderung, es sollten nicht zwei Kaiser aus gleichem Hause immittelbar nacheinander regieren, ebenso auf wie in der Eingabe des Kurprinzen in Schweinfurt selbst. Und noch vor den Kaadener Beratungen hatte Johann Friedrich am 13. Februar 1534 verlangt: „Wye es der Personen halben, die römischen König zu erwelhen und nicht Teudscher Sprach oder getzung weren, auch ob zewene, drey oder mehr römische Könyge auss ay- nem Hauß nacheynander solten mögen erwelt werden, darumb solten sich dye Churfürsten vergleychen und vereynigen, und solchs in yrer Aynung ver­ordnet werden“12b). In Kaaden hat sich Kursachsen damit dann nicht durch­setzen können, da eine zu starke Konfrontation mit dem Hause Habsburg den angestrebten Friedensschluß gefährdet hätte. Deshalb betonte es allein den Grundsatz der Wahlfreiheit, die es — nach ausreichender Bedenkzeit — dann doch nicht für gefährdet ansah. Offenbar schätzte Ferdinand I. im Spätsommer des Jahres 1534 die Chancen, daß die Goldene Bulle Karls IV. in der von Kursachsen in Schweinfurt und dann modifiziert in Kaaden geforderten Weise ergänzt würde, außerhalb ei­nes Reichstages gering ein. Eine Veränderung der Goldenen Bulle, die auch nur die Möglichkeit einer Königswahl vivente imperatore andeutete, hätte si­cherlich unabsehbare verfassungsrechtliche Folgen haben können. Ferdinand erkannte wohl richtig, daß die ihre Sonderstellung im Reich und ihre Prä­eminenz unter den Reichsständen stets betonenden Kurfürsten in der Mehr­heit kaum bereit waren, überhaupt einen und schon gar nicht einen solchen Zusatz zur Goldenen Bulle zu akzeptieren — auch wenn er aus ihren Reihen kam —, denn dieser hätte ihr Wahlrecht in stärkstem Maße betroffen. Jede noch so vage begriffliche Fassung eines rex Romanorum vivente imperatore 12) Vgl. dazu Günter Scheel Die Stellung der Reichsstände zur Römischen Kö­nigswahl seit den Westfälischen Friedensverhandlungen in Forschungen zu Staat und Verfassung. Festgabe für Fritz Hartung, hg. von Richard Dietrich und Gerhard Oestreich (Berlin 1958) 113—132, bes. 119f mit Anm. 12a) Dickmann Der Westfälische Frieden 155. 12b) Vgl. Bucholtz Geschichte 9 (Wien 1838) 79.

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