Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)
HEINDL, Waltraud: Gedanken zur Edition „Die Protokolle des österreichischen Ministerrates (1848–1867)”
260 Waltraud Heindl Editionswerken auch sonst übliche Weg beschritten15). Sind die Akten des Kabinettsarchivs zu wenig ergiebig, werden die Bestände der Ministerien in den Wiener Archiven und auch Materialien aus den Archiven der ehemaligen Regierungsstellen, die sich heute meistens in den Haupt- oder Landeshauptstädten der Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Monarchie befinden,' herangezogen16) - vor allem, wenn sie als „Rahmenakten“ in den Protokollen ausdrücklich erwähnt wurden, die Beratungen der Minister verdeutlichen und von Wichtigkeit für in der Literatur noch nicht behandelte Themen sind. Der Kommentar bringt daher nicht die Wiedergabe des gesamten Archivmaterials17), sondern bedeutet eine überlegte, im Rahmen des wissenschaftlichen Ermessens gebotene Auswahl und kann als Wegweiser für die Erschließung der Archive verstanden werden. Aufgabe einer Edition ist es jedoch nicht, die geäußerte Forderung nach einer vollständigen „Gesetzeskommentierung“18) zu erfüllen. Abgesehen von der Tatsache, daß ein einziger Gesetzesentwurf manchmal hundert Seiten übersteigt, so daß es räumlich und finanziell unmöglich wäre, die Genesis eines Gesetzes durch den Abdruck aller Entwürfe ersichtlich zu machen, gehört dies nicht in den Rahmen einer historischen Edition der Ministerratsprotokolle, sondern allenfalls in den einer monographischen Darstellung über die Entstehung eines bestimmten Gesetzes. Der fachlich Geschulte wird die Zitierung der Entwürfe und der gedruckten Gesetzespublikation im Kommentar als Hinweis auf die Genesis eines Gesetzes verstehen. Sinn und Zweck einer Edition und ihres Kommentars ist es aber auch nicht, das sei hier dezidiert gesagt, die in den Quellen angesprochenen Fragen erschöpfend darzustellen oder auch weitreichende Interpretationen zu geben19), was der bereits zitierten Definition des Kommentars widerspräche. Dies kann in den Einleitungen teilweise geschehen, soll jedoch in erster Linie Aufgabe von Darstellungen sein, welche aufgrund des publizierten Materials und der im Kommentar enthaltenen Hinweise entstehen sollen. II Die Bewertung der Ministerratsprotokolle als historischer Quellengattung steht in engem Zusammenhang mit den Wandlungen „interpretativer Ten15) Auch Erdmann in der Einleitung zu Akten der Reichskanzlei XII weist auf solche Editionsgrundsätze hin, nämlich in erster Linie das „Stammarchiv“ zur Kommentierung heranzuziehen. - Zur aktenkundlichen Analyse in bezug auf Quellenmaterial aus absolutistischer Zeit, welches im besonderen dieses Prinzip rechtfertigt, siehe Heinrich Otto Meisner Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918 (Göttingen 1969) 279. 16) Die Auswahl der Archive variiert natürlich von Band zu Band. 17) Siehe die diesbezügliche Kritik bei Fischer 491. le) Rezension Fischer 49lf. 19) Dazu auch Erdmann: „Grundsätzlich wollen die Kommentare ihren Gegenstand nicht erschöpfend darstellen und Geschichtsschreibung vorwegnehmen, sondern dem Benützer gezielte Verständnis- und Arbeitshilfen bieten“ (Einleitung zu Akten der Reichskanzlei XVI).