Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)

HAAS, Hanns: Die Vereinigten Staaten von Amerika und die alliierte Lebensmittelversorgung Österreichs im Winter 1918/19

Amerika und die Lebensmittelversorgung Österreichs 251 das State Department über das Abkommen107). Unklar bleibt — da sich die österreichischen Quellen dazu nicht ausfindig machen lassen —, wie Hoovers Behauptung zu verstehen ist, er habe sich drei Millionen Dollar aus österrei­chischen Banken, zusätzlich zu fünf Millionen aus einem Sonderfonds des Präsidenten besorgt, „um der unmittelbaren Not zu begegnen“108). Was die Durchführung der Aktion betraf, so würdigte Hoover selbst die Be­deutung Italiens, das nach Neujahr mit der Belieferung Österreichs be­gann109), vom Gesamtvolumen des Jännervertrages die Hälfte zu liefern ver­sprach110), tatsächlich aber die Versorgung Österreichs in den ersten Mona­ten des Jahres 1919 so gut wie alleine bestritt111). Es versteht sich von selbst, daß die italienische Regierung dabei in der Absicht handelte, Österreich in die italienische Einflußsphäre zu bringen und mit Lebensmitteln politisch die Dominanz untermauern wollte, die sie militärisch in Durchführung des Waf­fenstillstandes ohnehin bereits erreicht hatte112). Die französische Delegation hielt daher die italienische Aktion, ungeachtet ihrer Befürwortung als einzig gangbaren Weg, für politisch recht bedenklich113). Dazu muß man allerdings wissen, daß das französische Außenamt seinerseits eine Versorgung Öster­reichs nur unter der Voraussetzung gestatten wollte, daß Österreich von sei­ner Anschlußpolitik Abstand nahm, wie Außenminister Pichon gleichzeitig mit den Berner Beschlüssen Ende Dezember 1918 öffentlich bekanntgab114). Die Lebensmittelfrage hatte unleugbar politische Bedeutung, und es ist auch weiter nichts dagegen einzuwenden, die italienische Versorgungsaktion mit Hoover als „Ausdruck einer Machtpolitik“ zu bezeichnen115). Doch war die Haltung der amerikanischen Lebensmittelbürokratie in Fragen der Lebensmittelversorgung nichts weniger als von altruistischen Interessen bestimmt. Wann immer amerikanische Instanzen in bezug auf die Hilfsaktion für Österreich Entscheidungen zu treffen hatten, ob anläßlich der Schweizer Hilfe, ob im Zusammenhang mit der österreichischen Bitte um eine Ausspra­che auf neutralem Boden oder ob bei den Berner Verhandlungen, handelten sie in der Absicht, die alliierte Aktion unter Kontrolle zu behalten und ihre 107) FR PPC 2 717. 10s) Hoover Memoiren 352. 109) Telegramm an den Acting Food Administrator, 1919 Jänner 5: FR PPC 2 704. no) American Commission to Negotiate Peace an State Department, 1919 Jänner 9: ebenda 717. ln) FR PPC 10 (1947) 297. 112) Hanns Haas österreichisch-italienische Beziehungen von Villa Giusti bis Saint Germain in Innsbruck - Venedig, österreichisch-italienische Historikertreffen 1971 und 1972 (Wien 1975) 101-104. 113) Vilgrain an Ministére du Commerce, 1918 Dezember 27: AN F 17 8087 Ravitail- lement Autriche. 114) Hanns Haas Henry Allizé und die österreichische Unabhängigkeit in Austria­ca. Spécial Colloque: Deux fois VAutriche aprés 1918 et aprés 1945, erscheint voraus­sichtlich 1979 im Druck; siehe dazu Hoover Memoiren 352. lls) Ebenda.

Next

/
Thumbnails
Contents