Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)

HAAS, Hanns: Die Vereinigten Staaten von Amerika und die alliierte Lebensmittelversorgung Österreichs im Winter 1918/19

248 Harms Haas seinen Memoiren charakterisiert Hoover seine Österreichpolitik Anfang De­zember: „Das erste Problem bestand darin, die Blockade und die Beschrän­kung der Alliierten aufzuheben“ 84). Wäre es nach den europäischen Alliier­ten gegangen, so hätte die Frage einer Lockerung der Blockade aber Anfang Dezember bereits erörtert werden können; es bedurfte sicherlich nicht erst der amerikanischen Intervention, um die Ententemächte zu einem Entgegen­kommen gegenüber Österreich zu bewegen85). Das amerikanische Außenamt und Hoover aber verzögerten die Regelung der österreichischen Versorgungs­frage solange, bis jede Eigenmächtigkeit ihrer Alliierten ausgeschlossen und ihre Kontrolle der Aktion gesichert war. So konnte die von Wien Ende No­vember angeregte Kontaktaufnahme erst einen Monat später verwirklicht werden. Doch auch bei den Berner Unterhandlungen setzten die Amerikaner ihre Verzögerungstaktik fort; nunmehr ging es um die Frage der Bezahlung der Lebensmittel. Die amerikanische Lebensmittelbürokratie hatte die Absicht, die ehemaligen Feindstaaten rein auf der Basis geschäftlicher Beziehungen zu beliefern, und zwar deshalb, weil sie Feindstaaten aus gesetzlichen Gründen keine Kredite einräumen konnte86). Doch die endlich am Weihnachtstag in Bern eintref­fende interalliierte Kommission erwartete eine unangenehme Überraschung, da die österreichische Delegation nicht die geringsten Zweifel an der Zah­lungsunfähigkeit Österreichs auf kommen ließ87). Hoover hatte den Leiter der amerikanischen Abordnung, Alonzo Taylor, angewiesen, zuerst einmal die fi­nanzielle Frage der Versorgung zu regeln88). Taylors erster Bericht aber gab lediglich eine Übersicht über die aussichtslose finanzielle Lage Österreichs: Die österreichisch-ungarischen Goldreserven seien äußerst gering und zudem als gesamtstaatliches Eigentum dem Zugriff der Wiener Regierung entzogen; Kredit von neutraler Seite zu bekommen, habe sich als aussichtslos heraus­gestellt89). Unter diesen Umständen sah Taylor nur geringe Chancen für eine baldige Inangriffnahme der Versorgungsaktion. Die österreichische Delega­tion hatte ihrerseits den größten Wert darauf gelegt, daß eine interalliierte, besser noch eine amerikanische Delegation sich selbst von der Notlage Wiens überzeuge90). Taylor glaubte, vorerst dieser Bitte nicht nachkommen zu kön­nen, und ersuchte Hoover um diesbezügliche Weisung, nicht ohne anzufüh­ren: „It was our distinct understanding that we were not to go to Vienna un­less they [die Österreicher] could pay in gold or dollars for the foodstuffs for 84) Hoover Memoiren 352. 85) Zur britischen Haltung etwa vgl. Hoffmann Die wirtschaftlichen Grundlagen 256-259. 86) Bane - Lutz Organization 32f. 87) Mitteilungen des Staatsamtes für Volksernährung 8—11. 8S) Bane - Lutz Organization 112. 89) Ebenda 117 f. 90) Benedikt Kautsky an Slatin (Bern) 1918 Dezember 27: Vor allem solle die Ent­sendung der amerikanischen Kommission nach Wien nicht von der Bezahlung der ge­forderten Summen abhängig gemacht werden: HHStA NPA Präs. 262 fol. 486.

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