Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)
HAAS, Hanns: Die Vereinigten Staaten von Amerika und die alliierte Lebensmittelversorgung Österreichs im Winter 1918/19
240 Haims Haas Die Hoffnung der österreichischen Regierung allerdings, die Vereinigten Staaten zu einem besonderen Engagement in der österreichischen Versorgungsfrage bewegen zu können, erfüllten sich nur zu einem geringen Teil. Dabei ließ Wien ohnehin nichts unversucht, um nicht nur die Bedürftigkeit Österreichs, sondern auch seine Zustimmung zu den Grundgedanken des „New Europe“ Wilsons zu beweisen. Die österreichische Außenpolitik folgte - unter sozialdemokratischem Einfluß - gänzlich den Ideen des „Wilsonismus“: Schon die Note der Nationalversammlung vom 30. Oktober an Wilson, die von der Gründung des Staates informierte, brachte den Grundsatz des Selbstbestimmungsrechtes so zum Ausdruck, daß die Übereinstimmung mit Wilsons Erklärungen unverkennbar war39). Sie verfehlte übrigens nicht ihre Wirkung, wie ein Bericht Stovalls zeigt, der ihre vorbehaltlose Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes hervorhebt40). Als Bauer schließlich das Ausland vom Beschluß der Provisorischen Nationalversammlung zur Ausrufung der Republik und für den Anschluß an das Deutsche Reich informiert, wählt er in der Note an den amerikanischen Präsidenten eine Form, die wiederum die Übereinstimmung der neu geschaffenen Ordnung mit Wilsons Prinzipien unterstreicht: „Das deutsche Volk in Österreich hat damit“, heißt es zum 12. November, „sein Selbstbestimmungsrecht ausübend, kundgetan, daß es fortan keiner Staatsgewalt unterworfen sein will als der, die es sich selbst einsetzt, und daß es die enge staatsrechtliche Verbindung mit Deutschland wieder hersteilen will, die vor 52 Jahren durch das Schwert zerrissen worden ist“41). Gleichzeitig dokumentiert die österreichische Regierung aber ihre feste Absicht, einen radikalen Umsturz der politischen Ordnung zu verhindern. Von Staatssekretär Viktor Adler langte noch am 12. November ein tags zuvor abgesandtes Telegramm in Washington ein, das die zentrale politische Frage der jungen Republik lapidar zusammenfaßt: „There is a great scanty of foodstuff in German Austria. To maintain order, quickest relief is solicited ... In view of the urgency of the matter a cable would be appreciated stating whether the Government of the United States is willing to render assistance at once“42). Bauer wiederum nimmt in seiner Note zum 12. November dankbar zur Kenntnis, daß Präsident Wilson die Bereitschaft der Vereinigten Staaten bekundet hat, Österreich mit Lebensmitteln zu versorgen; dabei bezieht er sich offensichtlich auf die oben erwähnte Erklärung der amerikanischen Regierung vom 8. November über die amerikanische Unterstützungsaktion für die befreiten Nationen Österreich-Ungarns folgerichtig im Sinne der österreichi39) Neue Freie Presse 1918 Oktober 30. 40) Siehe Anm. 26. 41) 1918 November 13: HHStA NPA 363 Liasse Deutsch-Österreich 12/11 St. A. ZI. 425/1918, fol. 41. 42) Dem State Department durch die Schweizer Botschaft übermittelt: NA 695/24, ZI. 863.48/31.