Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)

HAAS, Hanns: Die Vereinigten Staaten von Amerika und die alliierte Lebensmittelversorgung Österreichs im Winter 1918/19

Amerika und die Lebensmittelversorgung Österreichs 241 sehen These, daß Deutschösterreich ein neuer und in diesem Sinne ebenso ein vom habsburgischen Joch befreiter Staat sei wie sämtliche anderen Nachfol­gestaaten. Gleichzeitig betont Bauer die Bedeutung der Konzentrationsregie­rung aller drei großen politischen Parteien des Landes für die Aufrechterhal­tung von Ruhe und Ordnung. Alle ihre Anstrengungen aber, heißt es weiter, könnten durch die gegenwärtig herrschende Lebensmittelnot zunichte ge­macht werden. Bauer begrüßt daher ausdrücklich Wilsons Aufforderung an die befreiten Nationen, überlegt und mit Bedacht zu handeln43). Klaus Schwabe spricht von den „charakteristischen Illusionen“ der deut­schen Amerikapolitik Anfang November 1918, in Fragen der Lebensmittel­versorgung und der künftigen Friedensordnung mit Wilson in unmittelbaren Kontakt zu kommen44). Die österreichische Außenpolitik teilte damals - nicht zuletzt unter Einfluß der deutschen Friedensstrategie, der sie sich eng anschloß - diese Illusionen, die auf der Vorstellung beruhten, die Feind­mächte würden, und zwar auf Verlangen Wilsons, ehebaldigst Vorfriedens­verhandlungen einleiten, wie Bauer am 13. November sie verlangte45). Indes stellte sich nur allzubald heraus, daß Deutschösterreich als Feindstaat von jedem direkten Verkehr mit den Ententestaaten ausgeschlossen blieb und auch die Vereinigten Staaten — unter dem Druck ihrer Verbündeten — direkte Beziehungen nicht gestatteten. So hatte Präsident Wilson die Mitteilung von der Ausrufung der Republik lediglich zur Kenntnis genommen und verspro­chen, sie auf der Pariser Friedenskonferenz gebührend zu berücksichtigen. Als er am 24. November der Wiener Regierung Unterstützung verspricht, vermeidet er jeden Eindruck einer eigenmächtigen Kontaktaufnahme zum Feindstaat Österreich und bekräftigt ausschließlich den Beschluß der alliier­ten und assoziierten Staaten, „alles was möglich sei zu tun, um die Zentral­mächte mit Nahrungsmitteln zu versorgen“46). Am 16. Dezember aber teilt die schwedische Regierung in ihrer Funktion als Nachrichtenübermittler zwischen den beiden Regierungen mit, daß sie über Auftrag des State De­partment künftig nur noch solche Noten entgegennehmen könne, aus denen eindeutig hervorgehe, daß sie an sämtliche Alliierten gerichtet seien47). Die Hoffnungen auf einen direkten Draht zu Wilson hatten sich nicht erfüllt. Nun aber versuchte das Wiener Außenministerium, die Siegermächte und insbesondere die Vereinigten Staaten durch in die Schweiz entsandte öster­reichische Mittelsmänner auf die bedrängte Lage Österreichs aufmerksam zu machen: nicht ohne Erfolg, wie sich heraussteilen sollte. Das Außenamt verblieb in seinen geheimen Sondierungsversuchen bei seiner bisherigen Taktik, die Siegermächte mit dem Hinweis auf die ordnungssi­chernde Funktion der österreichischen Regierung zu Hilfeleistungen zu be­wegen. „Mit der Gefahr des Bolschewikismus ist insolange nicht zu rechnen, 43) Siehe Anm. 50. 44) Schwabe Deutsche Revolution 266. 45) Siehe Anm. 50. 46) Mitteilungen des Staatsamtes für Volksernährung 8. 47) HHStA NPA 342 ad ZI. 3523/1/1918, fol. 771. Mitteilungen, Band 32 16

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