Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)

FORST-BATTAGLIA, Jakub: Die Orientfrage in den Jahren 1875–1878 und das Dilemma der polnischen Konservativen Galiziens

Orientfrage und Konservative Galiziens 231 sich bis zum Vorwurf der Servilität steigerten63), den Wind aus den Segeln zu nehmen, ergriffen Dunajewski und Grocholski im Abgeordnetenhaus das Wort. Dunajewski schlug vor, das Haus möge sich bloß durch das Kabinett vom Inhalt des Vertrags in Kenntnis setzen lassen, ohne Partei zu ergrei­fen64). Grocholski brachte eine Resolution ein, wonach die Regierung „ihren Einfluß bei der Leitung unserer auswärtigen Angelegenheiten stets dahin geltend machen sollte, daß dieselbe jeder Bestrebung nach Erweiterung der russischen Machtsphäre auf der Balkanhalbinsel imbedingt entgegentre­te“65). Zwischen Sommer 1878 und Frühjahr 1879 zeigte es sich erstmals, daß die Konservativen und ihre Freunde auf Grund der gewandelten politischen Um­stände in der Lage waren, frei von inneren Widersprüchen eine ihren An­schauungen völlig gemäße Linie zu verfolgen66). Das Memorandum an den vom 6. August folgende Ansicht über die soeben gebannte Balkankrise: ,Für Polen konnte es nur Vorteile geben: entweder ein Krieg zwischen Österreich und Rußland und was darauf gefolgt wäre, oder die Grundsteinlegung zur Änderung des Systems in Russisch-Polen. Gegenwärtig bleibt nur die zweite Möglichkeit. So wäre ich über ei­nen Modus vivendi zwischen Rom und Deutschland sehr zufrieden, weil das einen Mo­dus vivendi zwischen Rom und Petersburg nach sich zöge. Wenn aber die religiöse Frage einmal geregelt ist, kommt es leichter zur Regelung der politischen“. Der Chef­redakteur von Czas trat überdies für äußerste Zurückhaltung seiner politischen Freunde solange hervor, ,als es nicht klar wird, in welcher Richtung die Besetzung Bosniens läuft, in einer slawischen oder antislawischen, — für den Fall der ungarisch­antislawischen können Polen dazu natürlich nicht ihre Hand reichen. Als ich zu Koz- mian die Bemerkung machte, daß wir für ein österreichisch-türkisches Verteidigungs­bündnis eintreten sollten, verwahrte er sich entschieden dagegen, indem er meinte, daß solch ein Bündnis Slawen und Griechen schutzlos ausliefern würde und Österreich die Feindschaft dieser Völker brächte“: BC Ew 1021: Dionizy Skarzynski an Wladyslaw Czartoryski, 1878 Juli 19 Krakau. 63) Agaton Giller O serwilizmie i serwilistach [Über Servilismus und Servile) (Bruksela 1879). 64) Stenographisches Protokoll. Haus der Abgeordneten des österreichischen Reichsrats 8. Session 413. Sitzung, 1879 Januar 15: 13227—13233. 65) Ebenda 1879 Januar 25: 13470-13471. 56) Der Gefahren des Panslawismus gewärtig, waren auch die Konservativen über die Protestbewegung gegen die gemäßigte Politik der Polenklubmehrheit empört, so B PAN Krakow 1317: Kalinka an Skarzynski, 1878 November 26 und Dezember 13 Ja- roslaw. Im zweiten Brief meinte der Pater: .Wenn wir der Lemberger Anarchie nicht Herr werden, wird sie am Schluß Ostgalizien den Ruthenen übergeben müssen. Es wird zwei offizielle Galizien geben. Dann wird man nicht einmal mehr hoffen können, Podolien und das übrige zu behalten.“ Auch der erzkonservative Publizist Pawel Po- piel erblickte in Protestierern unter den polnischen Demokraten Lembergs gefährli­che Verschwörer: Na jaw! [Ans Licht] (Poznan 1878). Zugleich war aber unter vielen Polen, die den Konservativen nahestanden, die Enttäuschung über Österreich groß. Ein Freund Wladyslaw Czartoryskis meinte: ,Die österreichisch-ungarische Monarchie, auf die wir in unserer Politik nach der französischen Katastrophe von 1870 am meisten zählten, wird sich wohl außer im Rahmen reiner Selbstverteidigung nicht mehr für un­sere Ziele einsetzen, so können wir also nur darauf vertrauen, was wir uns selbst erar­beiten“: Wladyslaw Golemberski Aforyzmy polskie [Polnische Aphorismen] (Wieden 1878) 3-4.

Next

/
Thumbnails
Contents