Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)

FORST-BATTAGLIA, Jakub: Die Orientfrage in den Jahren 1875–1878 und das Dilemma der polnischen Konservativen Galiziens

228 Jakub Forst-Battaglia nicht dem Vorwurf einer ,völlig aussichtslosen Demonstration* aussetzen. Sinnvoll, so meinte Grocholski, könnte man ohnedies nur die Wiedervereini­gung der Rzeczpospolita (Res publica) verlangen: ,Daß wir uns aber als Re­präsentanten des unter österreichischer Herrschaft stehenden Teils von Polen mit einer solchen Forderung nicht an einen österreichischen Minister wenden können, bedarf nicht erst des Beweises*. Die polnische Linke würde es kaum unterlassen, eine außenpolitische Erklärung des Klubs ,verleumderisch zu entstellen*. Offenbar lag Grocholski an der Gunst der nichtpolnischen Kon­servativen Cisleithaniens, die keine Zuspitzung des Verhältnisses zwischen Wien und Petersburg wollten. So regte er an, Czartoryski möge im eigenen Namen Andrássy ein Memorandum zur Lage der Polen in Rußland überrei­chen, in dem lediglich auf frühere Äußerungen polnischer Parlamentarier, etwa auf die Interpellation Grocholskis vom 22. Februar 1878, hingewiesen werden sollte: ,Eine einzige markante Persönlichkeit* sei eher berufen, Grundsatzerklärungen abzugeben als irgendwelche Volksvertretungen oder Komitees*51). Andere führende Köpfe Galiziens, wie der greise Leon Sapieha oder der neue Landmarschall Ludwik Wodzicki, rieten Wladyslaw Czartoryski, von einer öffentlichen Stellungnahme zur Polen- und Orientfrage abzusehen. Es wäre völlig verfehlt, die ,unseriöse Lemberger Journalistik* nachzuahmen, nur um sich gleich ihr .grenzenlos lächerlich* zu machen, bemerkte Wodzicki52); Sa­pieha sprach von .Schießen um des reinen Lärmes willen*S3). Ehemalige Mit­arbeiter des Pariser Hotel Lambert meinten hingegen, es wäre gut, wenn der Standpunkt der konservativen Polen zur Kenntnis des Berliner Kongresses gelangte, jedoch nur, wenn dies ,aus dem Lande* und nicht bloß von Wladys­law Czartoryski käme54). Doch der Fürst ließ nicht locker. Nach einer längeren Beratung, die er mit mehreren galizischen Politikern Ende Juni 1878 in Krakau führte, stimmten die Anwesenden der Aussendung einer anonymen Broschüre mit dem Titel Exposé de Vétót actuel de la Pologne ä propos du Congrés zu. Pawel Popiel übernahm die Abfassung des Textes, der mit einem Begleitschreiben Czarto- ryskis an Lord Beaconsfield und mit einem solchen Dunajewskis an And­rássy geschickt werden sollte. Czartoryski versprach, für die Mitteilung des Exposés an die Öffentlichkeit zu sorgen: Je ein Exemplar sollte der französi­schen Presseagentur „Havas“ und dem britischen ,,Reuter“-Büro zugehen55). Der Umstand, daß für die Denkschrift niemand als Autor verantwortlich zeichnete, aber jedermann ihre Herkunft mit Leichtigkeit erraten konnte, entsprach den politischen Absichten der Konservativen. Sie lieferten den Beweis polnischen Nationalbewußtseins, ohne sich selbst oder Andrássy in 51) Ebenda. 52) BC Ew 1021: Ludwik Wodzicki an Wladyslaw Czartoryski, 1878 Juni 21 Wien. 53) BC Ew 1009: Leon Sapieha an Wladyslaw Czartoryski, 1878 Juni 18 Lemberg. 54) BC Ew 1021: Henryk Wyzinski an Wladyslaw Czartoryski, 1878 Juli 3 Paris. 55) BC Ew 1506: Wladyslaw Czartoryski an Henryk Wyzinski, 1878 Juli 1 Krakau und Juli 6 Sieniawa.

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