Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)

FORST-BATTAGLIA, Jakub: Die Orientfrage in den Jahren 1875–1878 und das Dilemma der polnischen Konservativen Galiziens

Orientfrage und Konservative Galiziens 227 ler Polen den Frieden zwischen Wien und Petersburg bis auf weiteres zu be­wahren. III Der Kongreß der Großmächte, deren Außenminister vom 13. Juni bis zum 13. Juli 1878 in Berlin über das Schicksal Südosteuropas berieten, teilte die­sen Raum in Einflußsphären zwischen Wien und Petersburg, unter Beibehal­tung der nominellen ottomanischen Oberhoheit. Andrässy bezeichnete die Okkupation Bosniens und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn als notwendige Maßnahme zum Schutz vor dem Panslawismus. Gleichwohl ent­sprach sie den Wünschen der aufstrebenden russenfreundlichen Militärpartei am Wiener Hof, die dem Zarenreich gerne die östliche Hälfte der Balkan­halbinsel überließ, wenn Österreich-Ungarn nur seine Hand auf die westliche legen durfte47). Nun hatten viele Polen erwartet, daß die europäischen Regierungen Rußland an der Beherrschung des Balkanraumes hindern und es darüber hinaus zwingen würden, auf nationale Unterdrückung an Weichsel und Bug zu ver­zichten. Vom Beginn des Berliner Kongresses an stand fest, daß die Tages­ordnung nur Fragen des Balkans umfassen würde; dennoch ließen es sich vier verschiedene polnische Gruppen nicht nehmen, den Teilnehmern Denk­schriften zu überreichen. Die Memoranden - zwei stammten von Emigranten, zwei kamen aus Galizien - führten in mehr oder minder heftigen Worten bewegte Klage über das Los Russisch-Polens und forderten einschneidende Maßnahmen zur Änderung dieses Zustands48). Als erste waren in Ostgalizien die .Nationalregierung“ um Adam Sapieha und die ehemaligen Resolutionisten von 1868 in Übereinstimmung mit den De­mokraten an die Ausarbeitung ihrer Denkschrift für den Kongreß gegangen. Das gab erst den Konservativen den Anstoß, selbst zur Feder zu greifen, denn man konnte doch der Linken nicht das Feld überlassen49). Die Idee ei­nes Memorandums an die Außenminister führte nun in konservativen Reihen zu heftigen Diskussionen. Den auslösenden Funken zündete der seit 1873 ständig in Galizien lebende Führer der polnischen Emigration in Paris, Wla- dyslaw Czartoryski, als er Mitte Juni 1878 Grocholski vorschlug, namens des Polenklubs Andrässy ein Aide-mémoire zu überreichen, das dem Kongreß die Verbesserung der Lage in Russisch-Polen ans Herz legte50). Grocholskis Antwort fiel zunächst erstaunlich schroff aus: Nach eingehender Beratung hielten er und seine Kollegen jedweden die Polen Rußlands betreffenden Schritt des Klubs für .zumindest unangebracht“. Der Polenklub wollte sich 47) Kozmian Monarchia 725-756; Novotny Quellen und Studien 1 51-68. 48) Feldmann Geschichte 261-264. 49) Ebenda 262. 50) BC Ew 1021: Kazimierz Grocholski an Wladyslaw Czartoryski, 1878 Juni 6 Wien. Von der Idee Czartoryskis erfahren wir aus dem Antwortschreiben Grocholskis, der Brief des Fürsten an den Klubvorsitzenden war in Polen nicht aufzufinden. 15*

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