Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)
HÖFLECHNER, Walter: Anmerkungen zu Diplomatie und Gesandtschaftswesen am Ende des 15. Jahrhunderts
Diplomatie und Gesandtschaftswesen am Ende des 15. Jahrhunderts 3 Donald E. Queller hat viel Arbeit und viel Scharfsinn darauf verwendet, für das Spätmittelalter verschiedene Kategorien von diplomatischen Vertretern herauszupräparieren — den nuncius, den procurator oder Bevollmächtigten, den ambassador... Maulde la Claviére hatte darauf, aus einer offenbar doch viel tiefer gehenden Kenntnis und Einschätzung der historischen Realität und der Praxis des Spätmittelalters, weit weniger Arbeit verwendet; und Quellers - uneingestandenes - Ergebnis gibt ihm recht, wenn er letztlich auch nur zwischen Gesandten mit und ohne plena potestas zu unterscheiden vermag, welche beiden Formen natürlich wiederum in verschiedenen Belangen bei einem Gesandten gleichzeitig auftreten können, was jedoch nur bei genauer Kenntnis der Vollmachten und Instruktionen erkennbar ist. Die Diskrepanz zwischen der Theorie der juridischen Literatur und der Praxis der mehr oder weniger exakten Kanzleien ist unübersehbar, mag sie auch am Beispiel der Signorie geringer sein als etwa an jenem der kaiserlichen Kanzlei3). Umgekehrt hat Maulde la Claviére dem Problem des Gesandtschaftsrechtes - wem es also zustehe, Gesandte zu entsenden und zu empfangen - relativ breiten Raum eingeräumt4), obgleich er ein langes Kapitel jenem Phänomen gewidmet hat, dessen Betrachtung die des Gesandtschaftsrechtes wesentlich abkürzen hätte müssen, nämlich der Macht. Hier hat Queller erstaunlich rasch resigniert, zumal das mit der Frage verbundene Problem der Souveränität unlösbar ist, - Gesandte entsendet und empfängt, wer es vermag, oder noch deutlicher: wer dazu die Macht hat, und mag diese auch nur darin bestehen, daß er das nötige Interesse erweckt. 3) Queller selbst führt frühe und sehr deutliche Beispiele für den eigentlichen Usus an, wenn er Stellen zitiert, an denen man Gesandte in einem als „ambassiatores, oratores, procuratores, commissarios, actores, factores, negotium gestores et nuncios speciales“ bezeichnete — womit also wirklich alle gängigen Bezeichnungen aufgezählt sind- und schließlich noch hinzugefügt wurde: ,und mit welcher Bezeichnung man sie noch besser benennen könnte' (Queller 34, 64f und an anderen Stellen); derartige Beispiele sind in beliebiger Zahl aus den Quelleneditionen zu eruieren. 4) Was Queller 11 etwas unvorsichtig als „legalistic or idealistic nonsense" abtut — eine Wertung, die nur allzu leicht auf seinen eigenen Versuch der Erarbeitung der einzelnen Gesandten-Typen im Mittelalter ohne viel Rücksicht auf Zeit und Raum, auf verfassungsgeschichtliche und politische Entwicklung angewendet werden könnte, wenn in einem einzigen Absatz Beispiele aus den verschiedensten europäischen Staaten und mehreren Jahrhunderten zur Diskussion eines Problems zusammengezogen und andererseits unzählige Abweichungen vom nach den Autoren der Jurisprudenz zu erwartenden Sprachgebrauch diskutiert werden und damit wohl verkannt wird, daß die Menschen, die in der individuellen historischen Situation handelten, ihre Aufmerksamkeit möglicherweise ganz anderen Fragen zugewandt haben; vgl. z. B. Queller 60 ff. Der hohe Grad der Abstrahierung, der bei Queller — der nur hin und wieder sich der Realität erinnert - erreicht wird und der nur scheinbar durch den Titel The Office of Ambassador (der seinerseits problematisch ist) gedeckt wird, hat als ein möglicher und sicherlich auch wertvoller Schritt auf dem Weg der Erforschung dieser Probleme seine Berechtigung; er sollte nur den Autor nicht dazu verleiten, die andere Seite, das Wesentlichere, nämlich das innerhalb von Raum und Zeit, innerhalb dessen, was wir konventionellerweise als Realität, als historische Wirklichkeit zu umschreiben pflegen, handelnde menschliche Individuum zu vergessen. 1*