Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 31. (1978) - Festschrift für Richard Blaas
Lorenz MIKOLETZKY: Österreich, Italien und der abessinische Krieg 1935/36. Politik, Meldungen und Streiflichter
492 Lorenz Mikoletzky Tschechoslowakei und Ungarn zur Unterstützung des Abessinienkriegs Waffen und Munition an Italien17). Während die beiden kriegführenden Staaten einander größter Greueltaten beschuldigten (Niederbrennen von Kirchen und Gasangriffe von italienischer Seite18) und Verwendung von Dum-Dum-Geschossen durch die Äthiopier, die diese Munition aus England erhalten haben sollen19)), berichtete Gesandter Alois Vollgruber aus Rom, daß ihm ein nicht näher angeführter Kollege gesagt hätte, er zweifle an der „Möglichkeit durchschlagender militärischer italienischer Erfolge“ und schaue daher „trotz der jüngsten Ereignisse nicht düster in die Zukunft“20). Auch Österreichs Militärattaché beim Quirinal, Oberstleutnant Emil Liebitzky, stellte am 23. Dezember 1935 fest, daß „die Abessinier sehr tapfere, aber vollkommen unausgebildete Truppen“ stellten. „Man hofft sehr, daiß sie weiter angreifen, weil diese Art Truppen unter dem Eindruck der modernen Waffen und Flieger außerordentlich an Kampfwert verlören. .. . Der Konflikt mit Abessinien ist derzeit, militärisch gesehen, nur ein kleiner Teil eines — möglichen — großen Konfliktes“21). Der Duce mußte ja stark mit dem Eingreifen Englands aus dem Sudan heraus rechnen, und so kam es immer wieder in Italien zu Demonstrationen gegen dieses Land, die oft groteske Formen annahmen: „In den Kinos kann man jeden Abend, wenn irgendwo auf der Leinwand Herr Eden oder bei einer Schönheitskonkurrenz eine ,Miss Inghilterra“ zu sehen ist, heftige Pfeifkonzerte zu hören bekommen“22). In Österreich begann sich nunmehr auch in der Bevölkerung einiges Interesse zu zeigen, vor allem kam die Situation im Nachbarlande und damit der ost- afrikanische Kriegszustand Spekulanten, Panikmachern und Wichtigtuern zugute, aber auch das nationalsozialistische Lager witterte Wirkungsmöglichkeiten. Schon im August waren Werbungen für den Kampf in Abessinien erfolgt. Die Verpflichtung sollte nur sechs Monate betragen und in „Addis Abeba eine separate Unterkunft für Mitteleuropa hergerichtet“ werden, in welcher auch Wiener Köchinnen wirken würden. Österreicher, Tschechen und Schweizer wären schon angeworben worden23). In Feldkirch und Graz war ein Agent unterwegs, der jedoch niemals durch die Polizei festgenommen werden konnte. In einem von den Sicherheitsbehörden abgefangenen und als „phantastisch“ bezeichneten Brief eines tschechoslowakischen Staatsbürgers an seine Wirtschafterin in Oberösterreich hieß es unter anderem: „Ohne Wissen der Regierung [in Deutschland] haben wir Heimatlose uns aus den vielen abgetrennten Gebieten zusammengetan, um uns an einem Kampf gegen den Erzfeind Tirols zu beteiligen, wir haben uns, besonders ehemalige Offiziere, die in Tirol 17) Vgl. NPA 555 ZI. 39.867/1935. 1S) Vgl. ebenda ZI. 41.635/1935. 19) Vgl. ebenda ZI. 41.632/1935 und 41.634/1935. 20) Ebenda ZI. 40.921/1935. 21) Ebenda ZI. 40.900/1935. 22) Ebenda ZI. 39.209/1935. 23) Vgl. ebenda ZI. 37.663/1935.