Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 31. (1978) - Festschrift für Richard Blaas

Lorenz MIKOLETZKY: Österreich, Italien und der abessinische Krieg 1935/36. Politik, Meldungen und Streiflichter

Österreich, Italien und der abessinische Krieg 491 Ausspruches des österreichischen Bundesministers für auswärtige Angele­genheiten (vom 14. Oktober), wonach Egon Berger-Waldenegg gemeint haben soll: “To Austria, Abyssinia was not worth the tear of a single hungry Austrian workman and peasant”. Von Wiener Seite wurde dem österreichi­schen Vertreter in London, dem Gesandten Georg Franckenstein, mitgeteilt, daß die Redewendung ungenau wiedergegeben worden sei und daß „der Herr Bundesminister nicht von ,Abessinien', sondern vom ,abessinischen Konflikt' gesprochen hat. Weiters wäre darauf zu verweisen, daß diese Redewendung eine Pa­raphrase des offenbar Ihrem aethiopischen Kollegen nicht bekannten Ausspruches Bismarck’s darstellt: ,Der ganze Balkan ist mir nicht die Knochen eines einzigen pommerischen Gesandten wert' und auch unter ausdrücklicher Zitierung dieses Aus­spruches gebraucht wurde. Hieraus geht eindeutig hervor, daß sich die mehrerwähnte Redewendung des Herrn Bundesministers in keiner Weise gegen das Land Aethiopien gerichtet hat, sondern nur soviel bedeutet, daß die österreichische Regierung aus den allgemein bekannten Gründen nicht imstande ist, durch schwere materielle Opfer, die die Beteiligung an den Sanktionen wegen des Kolonialkonfliktes um Abessinien unbe­dingt zur Folge hätte, die Lebensexistenz des österreichischen Volkes auf’s Spiel zu setzen“ls). Zwei Tage nach dem Einmarsch der Italiener war der Völkerbund auf Be­treiben Englands in Aktion getreten. Es wurde der Verstoß des Aggressors gegen die Artikel 12, 13 und 15 der Völkerbundcharta festgestellt. Nach die­sen Bestimmungen waren alle Mitglieder der Organisation verpflichtet, sämt­liche zwischen ihnen herrschenden Streitfragen in einem schiedsgerichtlichen oder gerichtlichen Verfahren zu klären beziehungsweise dem Rat zur Prü­fung vorzulegen. Nach Artikel 12 durften die Bundesmitglieder in keinem Fall vor Ablauf von drei Monaten nach der gerichtlichen Entscheidung oder einem entsprechenden Ratsbeschluß zum Kriege schreiten. Damit wurde die Verpflichtung des Völkerbundes zur Anwendung von Sanktionen wirksam, wogegen Österreich und Ungarn stimmten; fünfzig Ratsmitglieder waren da­für, während sich nur Albanien den beiden genannten Staaten anschloß. Damit war eine lange in der Luft liegende Entscheidung von seiten Öster­reichs fixiert worden. Der eingesetzte Arbeitsausschuß empfahl als ersten Punkt die Verhängung eines Waffenembargos, weiters die Empfehlung einer Kreditsperre gegen Italien und die eines Einfuhrverbotes für italienische Wa­ren ebenso wie die eines Ausfuhrverbotes für bestimmte Güter, die die italie­nische Kriegswirtschaft dringend benötigte. Am 18. November 1935 traten die Sanktionen in Kraft. Italiens scharfe Protestnote fünf Tage später, in der besonders England attackiert wurde, blieb ohne Wirkung. Am 30. November stellte ein Sachverständigenausschuß nochmals fest, daß sich mit Ausnahme Österreichs, Ungarns, Albaniens und einiger in ihren Entschlüssen noch schwankender südamerikanischer Staaten alle Völkerbundmitglieder aus­drücklich für die Durchführung der Sanktionen gegen Italien erklärt hat­ten15 16). Letztlich lieferten dann das Deutsche Reich, Jugoslawien, Polen, die 15) Ebenda ZI. 40.216/1935. 16) Funke Sanktionen und Kanonen 48f.

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