Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 31. (1978) - Festschrift für Richard Blaas

Lorenz MIKOLETZKY: Österreich, Italien und der abessinische Krieg 1935/36. Politik, Meldungen und Streiflichter

490 Lorenz Mikoletzky sinische Eskorte einer englischen Grenzkommission von italienischen Trup­pen in ein für beide Seiten verlustreiches Gefecht verwickelt. Der Zwischen­fall bei den Brunnen von Wal-Wal im Somaliland, am „Ende der Welt“, wo nur Nomaden ihre Wege ziehen und gar nicht wissen, daß sie auch Staats­bürger sind, wurde die Veranlassung für den längst vorbereiteten Angriff Italiens auf Äthiopien. Die Völkerbundprozeduren, welche den Konflikt bei­legen sollten, wurden von Italien in herausfordernder Weise sabotiert und wirken nachträglich deswegen so peinlich, weil die Gesellschaft der Nationen in der folgenden dramatischen Entwicklung das überfallene Mitglied schmählich im Stich gelassen hat11). Der Negus war sich wohl bewußt, daß die Schlappe von 1896 von Italien nicht vergessen worden war. Hatte dieses Gefecht die Niederlage eines Expeditionskorps gebracht, so war der nunmehrige Feldzug der Angriff einer überlegenen Macht mit vollem mi­litärischem Einsatz (innerhalb weniger Monate beförderte die italienische Kriegsmarine über 350.000 Mann, 30.000 Tiere, 6500 Kraftfahrzeuge und 3,000.000 t Waffen und Nachschubmaterial nach Ostafrika) gegen einen technisch weit unterlegenen Verteidiger. Auf einen solchen Waffengang war Äthiopien nicht vorbereitet, ganz und gar nicht auf Luftangriffe und auf Giftgas12). Vom Balkon des Palazzo Venezia in Rom verkündete der Duce am 2. Oktober 1935 seinem Volk: „Coll’Etiopia abbiamo pazientato quarant’anni! Ora ba­sta!“. Tags darauf überschritten italienische Truppen die abessinische Gren­ze, General De Bono die eriträische und General Graziani von Italienisch- Somaliland aus13). Wie alles schon vorbereitet war, zeigt die Nachricht, die der Generalsekretär des Völkerbundes schon am 10. September vom äthiopischen Vertreter erhal­ten hatte: „D’ordre de mon Gouvernement, j’ai l’honneur de porter ä votre connaissance ce que suit: Des télégrammes re?us des provinces du nord signalent que sur divers points de la frontiére de l’Erythrée d’importants mouvements des troupes italiennes ont lieu fai- sant prévoir leur action offensive prochaine contre le territoire éthiopien“14). Nach Beginn der eigentlichen Kampfhandlungen begann an der österreichi­schen Gesandtschaft beim Quirinal eine große Aktivität des „Aushorchens“ anderer diplomatischer Vertreter, und wie die zahlreichen Meldungen nach Wien zeigen, wurden auch Gespräche mit Vertretern des italienischen Staa­tes geführt. Äußerungen aus der österreichischen Bundeshauptstadt in aller Öffentlichkeit gab es selten, da solche schon zu Beginn des Konfliktes zu Mißdeutungen Anlaß gegeben hatten. Der äthiopische Gesandte in London erhob nämlich Vorstellungen wegen eines in der Times wiedergegebenen n) Vgl. Neubacher Die Festung des Löwen 120 und Funke Sanktionen und Kanonen 12. 12) Vgl. Neubacher Die Festung des Löwen 121 und Funke Sanktionen und Kanonen 13 f. 13) Ebenda. 14) NPA 555 ZI. 41.948/1935.

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