Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 31. (1978) - Festschrift für Richard Blaas

Lorenz MIKOLETZKY: Österreich, Italien und der abessinische Krieg 1935/36. Politik, Meldungen und Streiflichter

488 Lorenz Mikoletzky Initiativen, „nachdem der innenpolitische Konsolidierungsprozeß des faschi­stischen Systems fortgeschritten war. Ein verheißungsvoller Ansatz schien gemacht, als England in einem am 20. Dezember 1925 erfolgten Notenaus­tausch versprach, seine Kolonialbestrebungen in Abessinien zu unterstüt­zen“3). 1916 war Lidsch Jasu durch einen Aufruhr gestürzt worden und die Tochter seines Vorgängers Menelik, Zauditu, wurde Kaiserin, Ras Tafari Makonnen Regent und Erbe des Thrones. Dieser erlangte 1928 die Königswürde (Negus) und 1930 die eines Kaisers (Negusa Nagast). Sein Name, der ihn bekannt machte: Haile Selassie I. In den zwanziger Jahren gestalteten sich die Bezie­hungen zu Italien sehr freundschaftlich. 1924 weilte der Regent in Rom und wurde dort beinahe mit den Ehren eines souveränen Staatsoberhauptes emp­fangen. Als Ende April 1927 der Herzog der Abruzzen diesen Besuch erwi­derte, kam man den Wünschen Haile Selassies nach, die sich auf einen „Tank“ für seine Person, für seine Gattin ein starkes Luxusautó „mit der Toiletten Einrichtung in Gold“ und für seine Mutter ein Brillantdiadem „be­schränkten“. Die Kosten sollen eine Million Lire überschritten haben4). Ein Jahr nach diesem Gegenbesuch wurde ein Freundschaftsvertrag der beiden Staaten mit der Dauer von zwanzig Jahren abgeschlossen5). Über das Verhältnis Italiens zu Abessinien war die österreichische Regierung immer gut informiert, vor allem während der eigentlichen kriegerischen Er­eignisse. Aber schon 1925 hatte der österreichische Honorarkonsul Dr. Erich Weinzinger in Addis Abeba gemeldet: 1. die italienische Regierung habe die äthiopische Radiostation erhalten, und 2. „Frankreich hat nach wie vor den größten Einfluß, wenn auch der italienische Gesandte mehr Ansehen genießt als sein französischer Kollege“6). Weinzinger fiel den Italienern durch seine Regsamkeit auf, und der römische Gesandte in Wien sprach im Außenamt vor, um Klarheit über Gerüchte zu erhalten, die besagten, daß der österrei­chische Honorarkonsul als eine Art Bevollmächtigter Abessiniens nach Genf zum Völkerbund gehen wolle. Dazu stellte die italienische Regierung unter anderem fest, „daß sich ein solches Verhalten Weinzingers wohl nicht mit der Eigenschaft eines österreichischen Honorarkonsuls vereinigen ließe“ und sprach die Befürchtung aus, „daß aus einer solchen Tätigkeit des Genannten sich leicht Schwierigkeiten im Verhältnis Italiens zu Österreich ergeben könnten“7). Die Nachricht stellte sich als richtig heraus, und Weinzinger schied aus den Diensten der Republik. Auch bei der Krönung des Negus 3) Ebenda 9. 4) Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien Neues Politisches Archiv (= NPA) 556 ZI. 22.123/1927. Soweit nicht anders angegeben, beziehen sich alle folgenden Quellenzi­tate auf die in NPA 555, 556 und 558 enthaltene Liasse Abessynien. 5) Italienisch-abessinischer Freundschafts- und Schiedsgerichtsvertrag vom 2. Au­gust 1928. Vgl. Text in NPA 556 ZI. 20.666/1929; ferner Neubacher Die Festung des Löwen 120 und Funke Sanktionen und Kanonen 9f. 5) NPA 555 ZI. 13.314/1925. "O Ebenda ZI. 14.491/1926.

Next

/
Thumbnails
Contents