Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 31. (1978) - Festschrift für Richard Blaas

Anna Hedwig BENNA: Die Republik Österreich und Sancta Maria de Anima in Rom (1918-1938)

Österreich und Sancta Maria de Anima 481 Anlaß, um eine Änderung der herkömmlichen Ordnung zu verlangen, zu­nächst mit dem Hinweis auf seinen Rang als Botschafter, der ihm nach di­plomatischem Protokoll die préséance vor den Gesandten gewährte, aber auch mit der Motivierung, das Protektorat Österreich-Ungarns, ein rein per­sönliches Recht des jeweiligen Kaisers von Österreich, sei nun erloschen. Hu- dal replizierte, der Hl. Stuhl habe das österreichische Protektorat durchaus nicht für erloschen erklärt. Aber selbst wenn man annehme, daß es nicht mehr in Kraft sei, könne, da die Sache in suspeno sei, der bisherige Zustand nicht geändert werden, bis der Hl. Stuhl nicht ausdrücklich erkläre, das Pro­tektorat Österreichs sei mit dem Zusammenbruch der österreichisch-ungari­schen Monarchie erledigt. Der Ehrensitz sei dem diplomatischen Vertreter der Republik Österreich, die in den Friedensverträgen als Rechtsnachfolgerin der österreichisch-ungarischen Monarchie figuriere, gewährt worden. Pastor setzte dem deutschen Botschaftsrat den österreichischen Standpunkt ausein­ander: Das Protektoratsrecht über die Anima sei kein persönliches Sonder­recht des österreichischen Herrschers, sondern ein Recht des österreichischen Staates, das die österreichische Bundesregierung noch immer ausübe, da sie dem Rektor einen Zuschuß zu seinem Gehalt bezahle und der österreichische Gesandte regelmäßig an den Sitzungen des Verwaltungsrates der Stiftung teilnehme116). Der offensichtlich schon kurz nach dem Zwischenfall von Kardinal Ehrle in­formierte Papst empfahl Pastor - schon mit Rücksicht auf die Forderungen der Belgier und Holländer — eine baldige Beilegung des Konflikts mit den Deutschen117). Pastor fand auch bald eine Lösung für eine friedliche Bereini­gung des Streitfalles: Er wollte den deutschen Botschafter in der Mitte, den österreichischen und den bayerischen Gesandten rechts und links von ihm in einer Bank placieren — eine Lösung, die unzweifelhaft ein Aufgeben des bis­herigen österreichischen Standpunktes war. Dazu kam noch von Hudal der Vorschlag, den drei Missionschefs ihre Sitze nach diplomatischem Protokoll in dem großen Oratorium neben den Kardinälen anzuweisen; so konnte die Reihung nach Rang und Anciennität nach außen überhaupt nicht in Erschei­nung treten, da das Oratorium durch ein Gitter verdeckt war118). Pastors Vorschlag, der von seinem Nachfolger Kohlruß wenige Jahre später heftig kritisiert wurde119 *), fand die Billigung des Bundesministers Dr. Alfred Grün­berger und des Bundeskanzlers Dr. Ignaz Seipel, die beide eine rasche Beile­116) HHStA NPA 319 (Liasse Österreich 3/III): BKA AA ZI. 1748/1 1923, Bericht Rom V. ZI. 103, 1923 Juni 15, enthält die Abschrift einer für den Papst bestimmten, von Pastor und Hudal verfaßten Darstellung des Vorfalles am 9. Juni 1923 (In- cip.„Hl. Vater“, Explic. „Rom, am 15. Juni 1923 Pastor m. p. Hudal m. p.“); NPA 87: Bericht Rom V. ZI. 103, 1923 Juni 15, mit Beilage; Engel-Janosi Vom Chaos 76. 117) HHStA NPA 319: BKA AA ZI. 1748/1 1923, Bericht Rom V. ZI. 103, 1923 Juni 15; Pastor Tagebücher 776. 11S) HHStA NPA 319: BKA AA ZI. 1748/1 1923, Bericht Rom V. ZI. 103, 1923 Juni 15; Engel-Janosi Diplomatische Mission 15. 119) HHStA NPA 319 (Liasse Österreich 3/III): BKA AA ZI. 314-13/1923, Bericht Rom V. ZI. 20, 1929 März 20; Engel-Janosi Vom Chaos 140. Mitteilungen, Band 31 31

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