Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 31. (1978) - Festschrift für Richard Blaas

Horst BRETTNER-MESSLER: Zwischen zwei Kriegen. Der österreichisch-italienische Notenwechsel vom Jahre 1861 betreffend die reziproke Gestattung von Cabotage und Küstenfischerei

302 Horst Brettner-Messler Während man sich am Ballhausplatz über die außenpolitische Szene im Un­klaren war, sich im Finanzministerium verzweifelt den Kopf über die Bedek- kung der dringendst erforderlichen Bedürfnisse zerbrach, im Staatsministe­rium fieberhaft mit der Ausarbeitung von Verfassungsentwürfen beschäftigt war, hatte sich der Bevölkerung eine tiefe Apathie bemächtigt11). In dieser Atmosphäre allgemeiner Verwirrung traf am 13. Jänner 1861 ein mit 7. Jänner 1861 datiertes Schreiben des preußischen Gesandten, Brassier de St. Simon, ein, mit dem dieser eine Note Cavours vom 31. Dezember 1861 mitteilte. Darin wurde der Vorschlag unterbreitet, man möge im Interesse der vielen kleinen Schiffer der Romagna und der Marken, für welche die Be­fahrung der westlichen Küsten der Adria eine Existenzfrage bedeutete, die Küstenschiffahrt in der gleichen Weise wieder gestatten, wie dies vor dem Kriege von 1859 zwischen Österreich und dem Heiligen Stuhl der Fall war12). Dieser Vorschlag wurde in Wien durchaus positiv aufgenommen, da man sich bereits in den abgelaufenen Monaten zu einem pragmatischen Vorgehen in der Frage der Anerkennung der von der neuen Regierung für Schiffe aus der Romagna und den Marken ausgestellten Borddokumenten entschieden hatte. Die Besatzungen dieser Fahrzeuge weigerten sich beim Einlaufen in Venedig, sich „der Ingerenz des päpstlichen Konsuln zu unterziehen“, selbst wenn sie noch unter päpstlicher Flagge segelten oder noch mit Papieren der „legalen Regierung“ ausgestattet waren. Das Finanzministerium hielt es für sicher, daß sich alle Kapitäne aus diesen Gebieten sobald als möglich mit Papieren der neuen Regierung ausstatten würden. Selbst wenn sie diese noch nicht be­säßen, könne man ihnen nicht zumuten, vor ihrer Rückkehr in die Heimat bei einem Aufenthalt in österreichischen Häfen die Hilfe der päpstlichen Vertre­ter in Anspruch zu nehmen, „indem sie nicht ohne Grund besorgen dürften, sich durch Annahme derselben mit Rücksicht auf den mittlerweile dort statt­gefundenen Autoritätswechsel einem unangenehmen Empfange auszusetzen“. So begründet auch diesbezügliche Reklamationen des päpstlichen Konsuls in Venedig sein mochten, könne man doch nicht wegen sich etwa noch ergeben­der Einzelfälle „für eine Ausnahme von dem hinsichtlich der Konsularbe­handlung der den von Sardinien okkupierten fremdherrlichen Gebieten an­gehörenden Schiffe bisher festgehaltenen Grundsätze stimmen, wornach österreichischerseits keinerlei Zwang einzutreten hat, um die betreffenden Schiffe im Falle ihrer Weigerung zur Annahme der Konsularingerenz der le­11) [H. Pollak] Dreissig Jahre aus dem Leben eines Journalisten. Erinnerungen und Aufzeichnungen 1 (Wien 1894) 43; Walter Rogge Österreich von Világos bis zur Gegenwart 1: Das Decennium des Absolutismus (Leipzig-Wien 1872) 542 f; Heinrich v. Srbik Deutsche Einheit. Idee und Wirklichkeit vom Heiligen Reich bis Königgrätz 3 (München 1942) 78—86. 12) Brassier de St. Simon an Rechberg, 1861 Jänner 7 Turin, Reinschrift (Nr. 62) samt Note Cavours an Brassier, 1860 Dezember 31 Turin, Abschrift: alles unter Nr. 492 H. in HHStA AR F 60/31. Auf dem Schreiben Brassiers findet sich der Ver­merk „Minister Conferenz“. Ob der Text dort verlesen wurde, ließ sich nicht feststel­len.

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