Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 31. (1978) - Festschrift für Richard Blaas

Adam WANDRUSZKA: Leopold II., die „Welschen Confinen“ und die Stände Tirols

Leopold II., die „Welschen Confinen“ und die Stände Tirols 155 Regierung erbaute Bergstraße von Pistoia nach Modena und von dort über Mantua, Rovereto, Bozen, Bruneck, das Drautal, Klagenfurt und von dort wieder die übliche Route über Bruck an der Mur und den Semmering. Da in den Briefen jener Tage und Wochen wiederholt von Kälte und Schnee die Rede ist4), lag die Annahme nahe, die Wahl dieser Reiseroute sei deshalb er­folgt, weil „die Straße über Pontebba und das Kanaltal wegen der starken Schneefälle dieses Winters unpassierbar war“5). Obwohl dieser Grund für die Wahl der Reiseroute nach wie vor durchaus plausibel erscheint, bietet sich bei neuerlicher Überprüfung der Quelle doch auch die Möglichkeit einer anderen, politischen Erklärung an. Schon am 16. Februar, zwei Tage nachdem er in Pisa den Brief Josephs vom 6. Februar mit der dringenden Aufforderung, nach Wien zu kommen, erhal­ten hatte6) und neun Tage vor dem Eintreffen der Nachricht von dem am 20. Februar erfolgten Tod Josephs, hatte Leopold an seinen Sohn Franz, den späteren Kaiser, nach Wien geschrieben: „Je pars le 22 de ce mois et me Hatte d’étre le premier de mars a Vienne, si les mau- vais chemins en Lombardié et les neiges en Tirol ne me retardent pas. Si je me trou- vais retardé ou empéché par maladie ou autrement, je vous en avertirai par esta- fette...7).“ Die Lombardei und Tirol waren die ersten Länder der Monarchie, wo er sich auf dem Weg nach Wien durch persönlichen Augenschein von der innerpoli­tischen Lage überzeugen konnte, die er, wie aus allen seinen Briefen in die­sen Tagen und Wochen hervorgeht, für überaus kritisch und bedrohlich hielt. So hieß es in einem mit Zitronensäure geschriebenen - und daher zunächst für unbefugte Augen unsichtbaren, erst von der Empfängerin wieder sichtbar gemachten - Zusatz zu einem Brief an Marie Christine vom 12. Februar: „En attendant, on ne fait pas la paix avec les Turcs, on se tire sur les bras une guerre avec le Roi de Prasse et tout en voulant contenter le Tyrol et les Hongrois qui font de bruit, on s’y prend si mal qu’on ne fera que les encourager de mérne que les autres provinces ä faire pis, puisque ne faisant que les choses ä demi et de mauvaise gräce, avec des sens entortillés, on leur donne occasion ä soupfonner qu’on n’est pas de bonne foi“8). An der wie immer sehr scharfen Kritik an der seiner Meinung nach verfehl­ten äußeren und inneren Politik Josephs — mit ,,on“ ist in allen diesen Brie­4) So schrieb Leopolds Gemahlin am 8. März 1790 an den wie sie selbst zunächst in Florenz zurückgebliebenen Obersthofmeister Graf Anton Thum-Valsassina über Leo­pold, von dem sie einen Brief aus Mantua erhalten hatte: „ ... il se plaint beaucoup du froid et a trouvé deux pieds de neige dans la montagne ... et il en trouvera beaucoup plus dans le Tirol“ (Archiv Thum, Bleiburg). *) Wandruszka Leopold II. 2 30f. 6) Joseph an Leopold, 1790 Februar 6: Alfred von Arneth Joseph II. und Leopold von Toscana. Ihr Briefwechsel von 1781 bis 1790 2 (Wien 1872) 316f. *) Leopold an Franz, 1790 Februar 16: Haus-, Hof- u. Staatsarchiv Wien (= HHStA) Habsburg-lothringisches Familienarchiv, Sammelbände (= SB) 27. 8) Leopold an Marie Christine, 1790 Februar 12: Adam Wolf Leopold II. und Ma­rie Christine. Ihr Briefwechsel (1781-1792) (Wien 1867) 95 (mit sinnstörender, falscher Interpunktion).

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