Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 31. (1978) - Festschrift für Richard Blaas

Adam WANDRUSZKA: Leopold II., die „Welschen Confinen“ und die Stände Tirols

156 Adam Wandruszka fen Leopolds an Marie Christine natürlich immer der kaiserliche Bruder ge­meint - ist die Erwähnung Tirols zusammen mit Ungarn als Gefahrenherde ständischer Unzufriedenheit bemerkenswert, während in den früheren und späteren Briefen vor allen von den Österreichischen Niederlanden, wo die ständische Revolte gegen die josephinische Politik ja bereits zum Zusam­menbruch der österreichischen Herrschaft und zur Flucht der Generalstatt­halter Marie Christine und Albert nach Bonn geführt hatte, sowie von Un­garn die Rede war, wo eine ähnliche Erhebung unmittelbar bevorzustehen schien. Hält man sich dabei noch die Tatsache vor Augen, daß auch die durch die Einberufung der Generalstände des Königreichs Frankreich einge­leitete Französische Revolution damals noch den Charakter einer „ständi­schen“ Erhebung gegen den Absolutismus der Krone zu haben schien, so müssen Leopolds Befürchtungen vor einer alle „Provinzen“ der Österreichi­schen Monarchie erfassenden ständischen Revolution als durchaus verständ­lich und begründet bezeichnet werden. Es lag nun eine besonders bittere, von Leopold selbst auch durchaus so emp­fundene Ironie des Schicksals darin, daß gerade er, der gelehrige Schüler von Montesquieu, der schon vor mehr als einem Jahrzehnt, 1778/79, die Meinung vertreten hatte, daß die Stände eine überaus nützliche Einrichtung seien und als Repräsentanten ihrer Länder aufgewertet und in allen Dingen um Rat ge­fragt werden sollten, und der damals und später immer wieder gerade die ständischen Institutionen in Ungarn, den österreichischen Niederlanden und in Tirol für vorbildüch und erhaltenswert erklärt und es etwa auch als einen Fehler bezeichnet hatte, daß man nach der Erwerbung Galiziens dort nicht das den Landesverhältnissen weit besser entsprechende ungarische Komitats- system, sondern die bürokratisch-zentralistische Verwaltung der österrei­chisch-böhmischen Ländergruppe eingeführt habe9), daß also gerade dieser so entschiedene Befürworter der Beibehaltung, Modernisierung, Erweiterung und Aufwertung des Ständewesens sich der Gefahr einer durch die von ihm stets als „despotisch“ kritisierte Politik Josephs ausgelösten ständischen Er­hebung gegenübergestellt sah. Wobei er, wie aus dem oben zitierten Brief an Marie Christine ja deutlich hervorgeht, selbst in dieser so gefährlichen Situa­tion seinen früheren Überzeugungen treu blieb, die Berechtigung der ständi­schen Beschwerden durchaus anerkannte und die Zugeständnisse der jose- phinischen Regierung als ungenügend, halbherzig, verworren und unaufrich­tig kritisierte. Was nun speziell Tirol betraf, so hatte Leopold darüber 1778/79 in seinen Ri- flessioni sopra lo stato della Monarchia geschrieben: „II Tirolo ä un Governo composto da un Presidente e Vice Presidente eil Consiglieri, i quali anno anco l’appellazione e revisione degli affari dell’Austria Anteriore öve vi é un Governo composto di un Presidente e 20 Consiglieri e in öltre in Tirolo vi é una Reggenza composta di un Presidente, Cancelliere e 29 Consiglieri. *) *) Riflessioni sopra lo stato della Monarchia: HHStA SB 15. Vgl. Adam Wan­druszka Österreich am Ende der Regierungszeit Maria Theresias in Anzeiger der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 111 (1974) 41-60.

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