Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 31. (1978) - Festschrift für Richard Blaas
Hans WAGNER: Die Lombardei und das Freimaurerpatent Josephs II. von 1785
Lombardei und Freimaurerpatent 1785 141 Die Gegensätze führten vor dem Sommer 1783 zur Spaltung der Loge. Sie wurde nach der Darstellung Giovanni Viazzolis durch das Verhalten Borsot- tis ausgelöst, der sich weigerte, eine Abrechnung der Logengelder vorzulegen, und in seiner Wohnung im Logenhaus öffentliche Dirnen empfing, sodaß in der Stadt das Gerücht umging, daß dort ein Bordell geführt werde. In einer Zusammenkunft der Meisterbrüder machte sich Viazzoli zum Sprecher der Unzufriedenen. Birago konnte Borsotti nicht reinwaschen, es wurde beschlossen, nichts an die Öffentlichkeit dringen zu lassen und die Wahlen am Johannistag abzuwarten. Damals wurden alljährlich am 24. Juni, am Tag Johannes des Täufers, des Patrons der englischen Steinmetzen, die Beamten der Loge gewählt. Birago rief aber die Loge nicht mehr zusammen, trat zurück und erteilte dem ersten Aufseher das Recht, Neuwahlen durchzuführen. Dazu kam es am 16. Juli 1783. Birago war nicht anwesend, ließ aber durch Borsotti erklären, daß er die Wahl zum Stuhlmeister nicht mehr annehmen werde. Borsotti gab dieselbe Stellungnahme für sich ab. So wurde Giovanni Viazzoli mit Stimmenmehrheit zum neuen Meister gewählt, Birago zum Redner und Deputierten Meister, während Borsotti und Rebuffi keine Ämter mehr erhielten. Diesen Bericht legte Viazzoli einem Brief an den Kaufmann Paolo Antonio Reina, einen gebürtigen Mailänder, der seit 1776 Mitglied der Wiener Loge „Zur gekrönten Hoffnung“ war, vom 12. August 1783 bei, dem ersten in einer langen Reihe von Briefen der beiden. Reina wird darin aufgefordert, auf Wunsch der Mehrheit der Brüder der „Concordia“ und besonders angesichts der Katastrophe, die sie nun betroffen habe, deren Repräsentanz beim Wiener Großorient zu übernehmen19). Bisher handelte es sich um einen bei Logenwahlen keineswegs untypischen Streit, wenn auch unter recht betrüblichen Umständen. Er wurde durch die nun von Wien ausgehende Aktivität gesteigert und so zur großen Belastung der lombardischen Freimaurerei. Zunächst soll noch kurz der Fortgang des Streites mit einigen Ergänzungen zu Francovich geschildert werden. In der Person des bevollmächtigten Ministers und Obersthofmeisters Erzherzog Ferdinands, Johann Joseph Graf Wilczek, der nicht nur der Loge „Zur gekrönten Hoffnung“ in Wien, sondern auch dem Illuminatenbund angehörte, glaubte die neue Führung der „Concordia“ einen mächtigen Helfer zu besitzen20). Er hat sich aber in den folgenden Jahren trotz seiner Zugehörigkeit zur Loge wohl aus Rücksicht auf die Öffentlichkeit und den Mailänder Hofstaat in seiner maurerischen Tätigkeit sehr zurückgehalten. Da sich Birago und Borsotti zunächst weigerten, die Schriften, Gelder und Werkzeuge der Loge zu übergeben, wandte man sich an Wilczek, dem es gelang, den inzwischen aus dem Logenlokal entfernten Borsotti mit Hilfe Biragos zur Herausgabe wenigstens eines Teils des Logenbesitzes zu bewegen. Birago, der deswegen aus Cremona herbeizitiert 19) Vertrauliche Akten 71 fol. 27 f und 164. Zu Reina, der im Cavriani’schen Haus in der Oberen Breunerstraße wohnte, vgl. Abafi Freimaurerei 3 314. 2°) ADB 42 (1897) 482-486. Über Wilczek als Freimaurer und Illuminat vgl. Abafi 4 203 und Francovich Storia 428.