Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

HOFFMANN, Robert: Die wirtschaftlichen Grundlagen der britischen Österreichpolitik 1919

260 Robert Hoffmann In Paris stand während der ersten Monate der Friedenskonferenz der Ver­trag mit Deutschland im Mittelpunkt der Verhandlungen, und im Kreis der Siegermächte setzte sich lediglich Italien für die Erörterung „öster­reichisch-ungarischer“ Friedensprobleme ein * 28). Die im Laufe des Februar immer zahlreicher eintreffenden Hiobsbotschaften, die das Bild einer von Woche zu Woche zunehmenden Bolschewisierungstendenz in Deutschland, Österreich und Ungarn zeichneten, erregten innerhalb der britischen Frie­densdelegation und des in London verbliebenen Foreign-Office-Stabs wachsende Besorgnis und verstärkten die Unzufriedenheit über die stag­nierende Arbeit der Friedenskonferenz. Die beiden Unterstaatssekretäre Sir Eyre Crowe und Lord Hardinge waren sich darüber einig, „that the problem of the future political status of Austria calls for early conside­ration“ und J. W. Headlam-Morley, bis zur Unterzeichnung des Vertrags von St. Germain ein unermüdlicher Anwalt vernünftiger Friedensbedin­gungen für Österreich, betonte sogar, „that we cannot afford to postpone any longer the serious consideration of the whole Austrian question“ 29). Der Zehnerrat der Friedenskonferenz entschied sich aber auf Staatssekre­tär A. J. Balfours Antrag am 24. Februar für eine vorrangige Behand­lung des deutschen Vertragswerks und beschränkte sich auf eine Formal­resolution, in welcher eine rasche Erledigung der übrigen ausstehenden Friedensverträge propagiert wurde30). De facto wurde damit aber die Erörterung der „österreichisch-ungarischen“ Friedensregelung an verschie­dene Kommissionen delegiert, die die sachlichen Grundlagen für die spä­teren Entscheidungen der obersten Konferenzgremien erarbeiten sollten. Nach der Ansicht Sir Maurice Hankeys, des Generalsekretärs der briti­schen Friedensdelegation, habe es kaum eine „well-informed person“ ge­geben, die in der Illusion gelebt hätte, „that there was the slightest hope of making serious progress with the treaties with Austria and Hungary, Bulgaria or Turkey for some time to come“ 31). Tatsächlich begann sich der Rat der Vier erst im Mai mit dem öster­reichischen Friedensvertrag zu beschäftigen. Der zunehmend aktualisierte Problemkomplex von wirtschaftlicher Notlage und Bolschewisierungsten­denz hatte das britische Interesse an der Situation in Österreich aber seit Ende Februar nicht mehr abflauen lassen. Neben der Sicherung der Le­in dieser Note die sofortige Aufnahme direkter diplomatischer Beziehungen zu den Siegermächten verlangt und bestritten, daß der Kriegszustand von der österreichisch-ungarischen Monarchie auf Deutschösterreich übergegangen sei. 28) Council of Ten, 1919 Februar 22: Papers Relating to the Foreign Rela­tions of the United States. The Paris Peace Conference 1919 (abgekürzt: FR, PPC) 4 (Washington 1943) 91. Im Zehnerrat war zu dieser Zeit noch von einem Friedensvertrag mit „Österreich-Ungarn“ die Rede. 28) Notizen Sir Eyre Crowes und J. W. Headlam Morleys, 1919 Februar 22: Wie Anm. 27. 3°) Council of Ten, 1919 Februar 24: FR, PPC 4 108—111. si) Lord Maurice H a n k e y The Supreme Control at the Paris Peace Con­ference 1919. A Commentary (London 1963) 80.

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