Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)
HOFFMANN, Robert: Die wirtschaftlichen Grundlagen der britischen Österreichpolitik 1919
Britische Österreichpolitik 1919 259 Die ab Anfang Februar tätige, kombinierte interalliiert-amerikanische Relief Administration Mission hatte folglich ihren Sitz nicht in Wien oder Prag, sondern in Triest und beschränkte ihren politischen Horizont auf die Durchsetzung des unbehinderten Eisenbahnverkehrs mit Österreich und der Tschechoslowakei. IV Diese Zurückhaltung von jeder Einmischung in die inneren Verhältnisse der Nachfolgestaaten wurde vor allem von jener Fraktion der Foreign- Office-Beamtenschaft befürwortet, die schon während des Krieges davon überzeugt gewesen war, daß die Entstehung von Nationalstaaten der beste Garant für eine stabile Friedensordnung in Ostmitteleuropa sein werde. Der Historiker Lewis B. Namier, damals Mitglied des Political Intelligence Departments, wollte die britische Politik einer „non-interference“ sogar auf die Anschlußfrage angewandt sehen: „... we should under no condition, (a) either encourage a reconstruction of Austria by bringing pressure to bear on the Czechs, Yugo-Slaves or Magyars, (b) or forbid the Austrian Germans to exercise their right to self-determination by prohibiting their union with Germany“ 2r>). Während die Foreign-Office-Vertreter in der britischen Friedensdelegation mit Rücksicht auf den französischen Alliierten letztlich aber doch ohne größere Bedenken das Anschlußverbot befürworteten25 26 27), kam die Frage einer eventuellen Wirtschaftseinheit des Donauraums bis zur Fertigstellung des Friedensvertrags mit Österreich immer wieder in verschiedenen Variationen zur Sprache. Die Notwendigkeit einer geregelten Liquidation der österreichisch-ungarischen Hinterlassenschaft drang umso mehr in den Vordergrund britischer Überlegungen, je länger die Friedenskonferenz dieses Problem beiseite liegen ließ. So betonte der Unterstaatssekretär Lord Charles Hardinge am 22. Februar: „It is very desirable that a committee should set up at once to deal with Austrian problems which, owing to the dissolution of the Empire, must be much more complicated than relating to Germany, especially on the economic side“ 27). 25) Notiz Lewis B. Namiers, 1919 Januar 13: PRO FO 371 3529/6991. Die Angehörigen und Sympathisanten der New-Europe-Gruppe traten, wie Namier, teilweise noch nach dem Waffenstillstand für eine strikte Anwendung des Selbstbestimmungsrechts auch im Falle Deutsch-Österreichs ein. Selbst Northcliffe hatte sich in der Times vom 4. November 1918 indirekt für die Gewährung des Anschlusses ausgesprochen: Alfred D. Low Die Anschlußbewegung in Österreich und Deutschland, 1918—1919, und die Pariser Friedenskonferenz (Wien 1975) 108. 26) Zur britischen Haltung in der Anschlußfrage siehe Low Anschlußbewegung 107—120; Hoffmann Mission Cuninghames 20—27, 80 f, 96—100 und Karl R. Stadler Hypothek auf die Zukunft. Die Entstehung der österreichischen Republik 1918—1921 (Wien 1968) 91. 27) Notiz Hardinges zu einer deutschösterreichischen Note von 1919 Februar 3, 1919 Februar 22: PRO FO 608 9/2386. Die österreichische Regierung hatte 17*