Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)
HOFFMANN, Robert: Die wirtschaftlichen Grundlagen der britischen Österreichpolitik 1919
256 Robert Hoffmann umfassenden Reconstruction-Initiative, zu denen auch Keynes zählte, beeinflußten schließlich auch die Lage Österreichs nach dem Krieg sehr wesentlich. III Einer der ranghöchsten Vertreter der „Reconstructionalists“ war der südafrikanische Verteidigungsminister Smuts, der als Mitglied des War Cabinets und bevollmächtigter Delegierter der Empire-Delegation in Paris vor den Folgen einer kurzsichtigen Politik der Sanktionen und überhöhten Reparationsforderungen warnte. Smuts betonte schon Mitte November 1918 in einer Rede vor amerikanischen Zeitungsherausgebern die Notwendigkeit, alle Kräfte gegen Hungersnot und Arbeitslosigkeit in Europa zu organisieren — und zwar ausdrücklich auch in den Feindstaaten. „The indescribable conditions of Russia are rapidly spreading to Austria“ 14), befürchtete er, und, indem er Deutschland als übernächstes Opfer des Bolschewismus bezeichnete, versuchte er seine Zuhörer davon zu überzeugen, daß Deutschland die Rückkehr auf die Weltmärkte ermöglicht werden müsse. Wie die meisten der „Reconstructionalists“ betrachtete Smuts den Bolschewismus als eine direkte Folge von Hunger und Arbeitslosigkeit, der die im Krieg gebildeten interalliierten Institutionen mit Lebensmittellieferungen und der Zufuhr von Rohstoffen zu Leibe rücken müßten. Denn nur durch eine großzügige Unterstützung des notleidenden „Zwischeneuropa“, so hob er hervor, werde es möglich sein, „to re-establish among the classes and the nations that good-will which is the only sure foundation for any enduring international system“ 15 16). Die Amerikaner waren aber mit guten Gründen nicht bereit, den Forderungen der britischen „Reconstructionalists“ nach einer Beteiligung an einem interalliierten „European Recovery Programme“ zu entsprechen. Nur zu deutlich erkannte man auf amerikanischer Seite, daß die britischen Bemühungen um eine Verlängerung der Kompetenzen der Versorgungsund Blockadeorganisationen in die Friedenszeit hinein darauf abzielten, die überlegenen Lebensmittel- und Kreditreserven der Vereinigten Staaten teilweise der Kontrolle Londons zu unterstellen. Da aber auch Präsident Wilson auf die Hoffnung baute, seine Vorstellungen auf der Friedenskonferenz nicht zuletzt mit wirtschaftlichen Druckmitteln durchzusetzen, wurde die Verteilung der amerikanischen Hilfsgüter einer neuen Organisation unter der Leitung Herbert Hoovers übertragen, dem nur ein „Beratender Ausschuß“ der übrigen Alliierten zur Seite stand le). 14) Rede J. Ch. Smuts’, 1918 November 14: Selection of the Smuts Papers 4 (November 1918—August 1919), hg. von W. K. Hancock und Jean van der Poel (Cambridge 1966) 11. 15) Ebenda 15 f. 16) Zur britisch-amerikanischen Kontroverse in der Frage der Organisation der Lebensmittellieferungen siehe Herbert Hoover Memoiren. Jahre der