Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

HOFFMANN, Robert: Die wirtschaftlichen Grundlagen der britischen Österreichpolitik 1919

252 Robert Hoffmann scher Ebene bis zur Ratifizierung des Friedensvertrages fast gar nicht und auch danach nur in beschränktem Umfang existierten *). Vielleicht vermag aber gerade die britische Reaktion auf die Probleme der österreichischen Friedensregelung und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der beiden er­sten Nachkriegsjahre aufzuzeigen, daß die ungünstigen Ausgangsbedin­gungen der Ersten Republik nicht einseitig auf eine bewußt mißgünstige oder auch nur unverständige Einstellung der Siegermächte zurückgeführt werden können. Jede von ihnen — und damit auch das vormals uner­meßlich wohlhabend erscheinende Britische Reich — hatte in den vier Kriegsjahren eine Umwälzung ihres Wirtschaftssystems und eine Vermin­derung der verfügbaren Ressourcen hinnehmen müssen. Die Politik der „Peacemaker“ wurde deshalb neben sicherheitspolitischen Erwägungen und der Furcht vor einer bolschewistischen Weltrevolution sehr wesent­lich von elementaren wirtschaftlichen Interessen bestimmt. II Nach der erfolgreichen Zurückweisung des deutschen Hegemonialanspruchs in Europa bildete die Schaffung einer Friedensordnung unter dem Aspekt einer weltwirtschaftlichen Verflechtung das wesentlichste Ziel der briti­schen Politik* 2). Klar umriß ein im November 1918 verfaßtes Foreign- Office-Memorandum den britischen Interessenhorizont: *) Gustav Stolper Deutschösterreich als Sozial- und Wirtschaftsproblem (München 1921). — Einfluß und Bedeutung des britischen Militärbeauftragten (Januar bis September 1919) wurden von Politikern und Öffentlichkeit in Öster­reich stark überschätzt. Vgl. dazu Robert Hoffmann Die Mission Sir Thomas Cuninghames in Wien 1919. Britische Österreichpolitik zur Zeit der Pariser Frie­denskonferenz (phil. Diss. Salzburg 1971) und dsbe The British Military Repre­sentative in Vienna, 1919 in The Slavonic and East European Review 52 (1974) 252—271. 2) Den Gesamtkomplex der britischen Politik gegenüber den Nachfolge­staaten während des ersten Nachkriegsjahrzehnts behandelte jüngst Marie- Luise R e c k e r England und der Donauraum 1919—1929. Probleme einer euro­päischen Nachkriegsordnung (Veröffentlichungen des deutschen Historischen Instituts in London 3, Stuttgart 1976); dank des Entgegenkommens der Autorin war es möglich, diese auf umfassender Quellenarbeit basierende Untersuchung der Politik der verschiedenen britischen Entscheidungsträger noch vor ihrem Erscheinen zu verwerten. Vgl. außerdem die thesenartige Zusammenfassung der Grundzüge britischer Friedenspolitik von Gustav Schmidt Politische und wirtschaftliche Probleme der britischen Friedensstrategie 1918/19 in Bericht über die Versammlung deutscher Historiker in Köln a. Rh. (Beiheft zur Zeit­schrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Stuttgart 1971) 70—72; Schmidt betont hier, „daß die englische Südosteuropapolitik den Angelpunkt der ver­schiedenen balance of power-Versionen bildet und damit den Maßstab für die Ernsthaftigkeit und Möglichkeiten englischer Friedensstrategie“: ebenda 72. Ergänzend dazu ermöglichte der Autor die Einsicht in das Manuskript eines 1972 am Institut für Europäische Geschichte in Mainz gehaltenen Vortrags: dsbe Politische Tradition und wirtschaftliche Faktoren in der britischen Friedens­strategie 1917—1919 (wird ohne Seitenangabe zitiert).

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