Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

LILLA, Joachim: Innen- und außenpolitische Aspekte der austropolnischen Lösung 1914–1916

Austropolnische Lösung 1914—1916 249 Ein weiteres Moment, das die starke ungarische Position erhellt: Seit Januar 1916 fanden zwischen der österreichischen und der ungarischen Regierung die Verhandlungen über die Erneuerung des Ausgleichs von 1867 für die Zeit ab 1917 statt. Die innere Lage Österreichs — z. B. Re­gierung ohne Parlament mit dem § 14, eine erschreckende Verschlechte­rung der Ernährungslage — zwang die österreichische Regierung zu vor­sichtigem Taktieren und zu Entgegenkommen bei ungarischen Wünschen zumindest in anderen Fragen, um in den Ausgleichsverhandlungen ein annehmbares Ergebnis zu erzielen89). VIII Die Verhandlungen zwischen Burián und Bethmann Hollweg am 11./ 12. August 19 1 6 90 *) erzielten grundsätzlich Einigkeit über die Errichtung eines selbständigen Königreichs Polen mit erblicher Monarchie und kon­stitutioneller Verfassung. Die wichtige Frage der territorialen Abgrenzung blieb bis auf weiteres offen; Bethmann Holl weg bestand zwar auf der Ausgliederung Suwalkis, räumte aber Burián grundsätzlich die Einbe­ziehung polnisch Litauens ein, da der polnische Staat „möglichst weit nach Osten ausgedehnt werden solle“. Die innere Verwaltung blieb Polen Vor­behalten, die auswärtige Politik aber sollte in Abstimmung mit den Mit­telmächten geführt werden. Die Armee des Königreichs Polen stand unter Aufsicht und oberster Führung des Deutschen Reiches. Die Schaffung die­ses Königreichs sollte zu gegebener Zeit durch eine gemeinsame Prokla­mation des Deutschen Kaisers und des Kaisers von Österreich verkündet werden. Die Einigung über einen optimalen Zeitpunkt war Gegenstand weiterer deutsch-österreichisch-ungarischer Verhandlungen: Schließlich wurde der 5. November festgesetzt. Die dritte deutsche Oberste Heeres­leitung unter Hindenburg/Ludendorff drängte trotz anfänglicher Beden­ken der Reichsregierung auf eine baldige Proklamation, da sie sich große Hoffnungen auf die beabsichtigte Rekrutierung polnischer Soldaten machteD1). Mit der Proklamation92), deren Inhalt bei den Polen falsche Hoffnungen wecken konnte, waren wesentliche Fragen auch weiterhin ungeklärt. Die Organisation des Königreichs im einzelnen war unbestimmt auf die Zeit nach dem Kriege vertagt; die Abgrenzung der Interessen­sphären Deutschlands und Österreich-Ungams war unterblieben. 8#) vgl. Bertold S u 11 er Die Ausgleichsverhandlungen zwischen Österreich und Ungarn 1867—1918 in Der österreichisch-ungarische Ausgleich 1867. Seine Grundlagen und Auswirkungen (München—Wien 1968) 71—111, hier 105 ff. so) „Aufzeichnung über die am 11. und 12. August 1916 geführten Verhand­lungen“: PAAA Weltkrieg 20 c geh. Bd. 3. oi) Vgl. insbesondere Ritter Staatskunst und Kriegshandwerk 3 253—284. »2) Text siehe Paul Roth Die Entstehung des polnischen Staates (Berlin 1927) 129.

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