Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)
LILLA, Joachim: Innen- und außenpolitische Aspekte der austropolnischen Lösung 1914–1916
Austropolnische Lösung 1914—1916 247 dingungen für das Entgegenkommen stellt er in einer Denkschrift, die der Reichsregierung zugeleitet wurde82). Burián bekennt sich zu einer tieferen Gestaltung des deutsch-österreichisch- ungarischen Bündnisses. Aufgrund der Notwendigkeit einer einmütigen und vor allem raschen Lösung der polnischen Frage hat Burián sich entschlossen, „den Auffassungen und den Interessen der deutschen Regierung bis an die äußersten uns gestatteten Grenzen Rechnung zu tragen und unter Verzicht auf die während des ganzen Krieges bis in die letzte Zeit übereinstimmend vom Herrn Reichskanzler und mir als beiderseitig befriedigend anerkannte Schaffung eines polnischen Staatsgebildes im Rahmen der österreichisch-ungarischen Monarchie dem letzten Vorschläge der deutschen Regierung in seinen wesentlichen Teilen und mit den weiter unten folgenden Einschränkungen prinzipiell beizustimmen. Ich erkläre mich meinerseits mit dem deutschen Vorschläge der Errichtung eines souveränen polnischen Staates als erblichen Königreiches einverstanden.“ Seiner Vorstellung nach müsse das künftige polnische Königreich auch die Gebiete polnisch Litauens umfassen, „weil Polen im Besitz dieser Gebiete noch mehr zum verläßlichen Vorposten der westlichen Zivilisation und der mitteleuropäischen Interessengruppe gegenüber Rußland wird und eine solche Gestaltung den Verzicht Polens auf die sonst zu befürchtenden irredentistischen Bestrebungen in Galizien und Posen schon deshalb eher erhoffen läßt, weil dem jungen Staate in Lithauen eine Fülle wirtschaftlicher und politischer Probleme gestellt wird, welche nur im ständigen Antagonismus zum Russentum und zur Orthodoxie zu bewältigen sein werden.“ Er macht zur Bedingung, daß weder die polnischen Gebiete Preußens noch Österreich-Ungarns jemals mit dem künftigen Königreich Polen vereinigt werden dürfen. Er fordert weiter eine „prinzipielle vollkommene Gleichstellung der beiden Zentralmächte“ bei der Festlegung der in ihrem Interesse erforderlichen „Beschränkungen der Bewegungsfreiheit Polens in militärischer, wirtschaftlicher und politischer Beziehung“. Zudem muß Polen ein selbständiges Zollgebiet erhalten, „jedoch wird für die Einfuhr aus Österreich-Ungarn und Deutschland ein identischer Präferentialtarif eingeführt werden, der nur mit Zustimmung der Mittelmächte abgeändert werden könnte“. Abgesehen von diesen Beschränkungen spricht Burián sich für keine weiteren Eingriffe in die inneren Verhältnisse Polens aus: „Insbesondere wäre die innere Politik und die Verwaltung des Königreiches jeder äußeren Ingerenz zu entrücken. Die Verfassung, namentlich die Wahrung der Herrscherrechte und deren Abgrenzung gegenüber der gewählten Volksvertretung, wäre von den Regierungen der beiden Zentralmächte unter Zuziehung berufener polnischer Kenner der Verhältnisse aus Kongreßpolen auszuarbeiten.“ Dieses — im Vergleich zu seiner früheren Auffassung — sehr weite Entgegenkommen Buriáns unter gänzlichem Verzicht auf das ursprüngliche Kriegsziel austropolnischer Prägung hält die deutsche Reichsregierung aufgrund der geforderten Gleichberechtigung Deutschlands und Österreich-Ungarns für unannehmbar: Diese Bedingung laufe letztlich auf ein Kondominium beider Staaten in Polen hinaus83). Die vermeintlichen Gefahren der Gleichberechtigung wurden jedoch in Berlin überschätzt; zudem beruhte die deutsche Interpretation auf einem Mißverständnis, wie 82) Aufzeichnung Buriáns, 1916 Juli: ebenda. 83) Tschirschky an Bethmann Hollweg, 1916 Juli 27, und Bethmann Hollweg an Tschirschky, 1916 Juli 30: ebenda.