Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

LILLA, Joachim: Innen- und außenpolitische Aspekte der austropolnischen Lösung 1914–1916

246 Joachim Lilla Galiziens gegenüber dem neuen polnischen Staat vermag Tschirschky weitgehend zu zerstreuen. Stürgkh bemerkt ferner, „daß sowohl er als auch der ungarische Ministerpräsident ,in Gedanken über den Rahmen des Notenwechsels hinaus seien“ “ und über Burián, „daß auch dieser, wenn auch schwerer als er und Graf Tisza, sich nach und nach von seinem bisherigen Standpunkt zu lösen beginnt“. Die sich abzeichnende Isolierung Buriáns ist für den weiteren Verlauf der Verhandlungen wesentlich. Jo­sef Redlich wirft Burián vor, daß von ihm „überhaupt positive Anregun­gen auf keinem Gebiet der Politik zu erlangen sind“ und er „von der Reichsregierung ganz umgangen“ werde. Buriáns Note nach Berlin vom 4. Juli ist nur ein weiteres Steinchen in dem Mosaikbild seiner langatmi­gen und zauderhaft-unentschlossenen Politik: Er trägt seinen altbekann­ten Standpunkt lediglich nochmals vor 78). Die Verschlechterung der militärischen Lage an der österreichischen Front gegen Rußland im Verlauf der Brussilow-Offensive und die fortgesetzten Bitten des österreichisch-ungarischen Armee-Oberkommandos um deut­sche Unterstützung einerseits, das unzugängliche Verhalten Buriáns in der polnischen Frage andererseits veranlassen Jagow zu den Worten79): „Unser Bundesgenosse muß sich ... klar werden, daß es nicht angängig ist, in den Zeiten der Not den starken Bruder um Hilfe anzugehen und sie anzunehmen, ihm dann aber nach Beseitigung der Gefahr als Dank die Taschen zu leeren.“ Jagow stellt eine weitere Beziehung zwischen der militärischen Lage und dem polnischen Problem her: Die fortwährende Unterstützung der Österreicher hätte an einzelnen Stellen die deutsche Frontlinie äußerst geschwächt; es sei erforderlich, neue militärische Re­serven einzusetzen. Das in Polen vorhandene Rekrutenreservoir könne aber erst dann ausgenutzt werden, „wenn Burián sich endlich zur Prokla- mierung des autonomen Polen im Sinne unserer Vorschläge versteht — Eile tut not“. Die von deutschen Militärs bereits seit längerem vorge­schlagene und geforderte Verwendung polnischer Soldaten auf seiten der Mittelmächte wird die deutsche Polenpolitik der Folgezeit wesentlich mit beeinflussen80). Die einschneidende Wende in der Politik Buriáns erfolgt Ende Juli. Burián begibt sich „prinzipiell auf den Boden ..., auf dem Deutschland die polni­sche Frage nunmehr gelöst zu sehen wünscht“8I). Seine konkreten Be­78) Tagebuch Redlichs 2 131 (Eintragung von 1916 Juli 21); Burián an Hohen­lohe, 1916 Juli 4: PAAA Weltkrieg 20 c geh. Bd. 2. 79) Jagow an Tschirschky, 1916 Juli 17: ebenda. so) Vgl. Ludendorff an Jagow, [1916] Juli 17: ebenda: „Die Schweinerei bei den Österreichern hört nicht auf. Die Truppe hält nicht mehr, wie auch die traurigen Erfahrungen der letzten Tage bewiesen haben. ... Der Pole ist ein guter Soldat. ... Schaffen wir ein Großfürstentum Polen aus Warschau und Lublin und dann eine polnische Armee unter deutscher Führung. Mal kommt die polnische Armee doch, jetzt können wir sie brauchen.“ 81) Burián an Hohenlohe, 1916 Juli 27, Abschrift: PAAA Weltkrieg 20 c geh. Bd. 3.

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