Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

LILLA, Joachim: Innen- und außenpolitische Aspekte der austropolnischen Lösung 1914–1916

Austropolnische Lösung 1914—1916 237 Deutschtum stark und lebensfähig bleibt. Damit wäre auch der Moment gekom­men, wo Polen wieder selbständig würde. Vielleicht hat die polnische Nation, nach der Vereinigung von Kongreßpolen und Galizien, sich inzwischen soweit entwickelt, daß sie zu eigenem staatlichen Leben fähig ist. Uns aber wird es dann hoffentlich gelungen sein, Posen soweit mit deutschem Element zu durch­dringen, daß keine irredentistische Gefahr mehr besteht“ 45). Diese Denkschrift enthält eine zentrale programmatische Aussage der Reichsregierung zur austropolnischen Lösung: Eine Zustimmung deutscher­seits wird mit weitgehenden Garantien Österreichs zur Sicherung und Festigung der deutschen Vorherrschaft in Cisleithanien verknüpft. In einer internen Aufzeichnung 46) gibt Jagow ergänzende Erläuterungen zu seinen Ausführungen vom 2. September, vor allem fordert er als Kompen­sation ebenfalls die Vertiefung des deutsch-österreichisch-ungarischen Bündnisses. Es sei eine politische Notwendigkeit, die Habsburger­monarchie „lebensfähig“ zu erhalten, weil das Deutsche Reich nach deren Zerfall gänzlich isoliert wäre. Um diese Lebensfähigkeit zu gewährleisten, müssen bei einem Anschluß Polens weitgehende Bedingungen gestellt werden, die den deutschen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen entsprechen: vor allem Verstärkung der Bündnisverpflichtun­gen, Grenzkorrekturen zugunsten des Reiches sowie „zollpolitische und eisenbahnliche Garantien“ für den deutschen Handel mit Rußland. Nachdem die deutsche Position so weit geklärt war — obgleich die hoch­geschraubten Absichten der Militärs, vor allem Falkenhayns, Bethmann Hollweg und Jagow gewisses Unbehagen bereiteten —, war eine erneute Zusammenkunft Bethmann Hollwegs mit Burián vorgesehen. Deren Vor­bereitung diente der zwischen Jagow und Tschirschky Ende Oktober/An- fang November geführte Schriftwechsel, in dem es vor allem um die von Österreich zu fordernden Sicherheiten ging47). Die Aussprache, die am 10. und 11. November in Berlin stattfand, blieb im Grunde ergebnislos. Burián, der in der Hoffnung nach Berlin gereist war, dort endlich eine verbindliche Zusage der Reichsregierung zum austropolnischen Projekt zu erhalten, wurde durch die deutschen Bedingungen nicht zufriedenge­46) Am Ende der Denkschrift fordert Jagow die Zusammenfassung der bal­tischen Provinzen zu einem unter deutscher Oberhoheit stehenden Herzogtum. — Aufschlußreich ist auch ein „allerhöchster Randvermerk“ Wilhelms II.: „Vor­bedingung für die Lösung der [polnischen] Frage ist unbedingt eine Militär­konvention mit Österreich, durch welche wir die Möglichkeit maßgebenden Ein­flusses auf die Reorganisation und Hebung der österreichischen Armee erhal­ten.“ Zudem fordert Wilhelm II. ein „Mitbestimmungsrecht auf die Weichsel­linie und ihre Festungen“. 48) PAAA Weltkrieg 20 c geh. Bd. 1. 47) PAAA Deutschland 180 geh. Bd. 2. In seinem Schreiben an Jagow vom 9. November empfiehlt Tschirschky: „Dem Baron Burián müßte aber gesagt werden, daß wir nunmehr vor dem Abschluß eines neuen Bundesverhältnisses ... stünden, dessen Grundlagen ... neben der Überlassung Polens an Öster­reich die Feststellung einer ... gemeinsamen Rüstung und Wahrung des ger­manischen Charakters Österreichs [sind].“

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