Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

LILLA, Joachim: Innen- und außenpolitische Aspekte der austropolnischen Lösung 1914–1916

Austropolnische Lösung 1914—1916 231 Österreich, dem k. k. Justizminister von Hochenburger und dem Heraus­geber der Wiener Neuen Freien Presse Benedikt, auf die mit dieser Lö­sung verbundene Stärkung des Deutschtums in der österreichischen Reichshälfte gelegt26). Diese erste Artikulation österreichischer Vorstel­lungen im Sinne einer austropolnischen Lösung ist für den weiteren Ver­lauf der Zukunft Polens wesentlich und weitaus mehr als nur „schäu­mender Wein des Grafen Berchtold“, wie Gerhard Ritter 27) diese Ange­legenheit zwar hübsch, aber nicht treffend charakterisiert: In den Aus­einandersetzungen zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich wie auch in den internen Diskussionen innerhalb der Habsburgermon­archie sind die Grundzüge festgesetzt worden, die für die kommenden Verhandlungen 1915/1916, ja bis 1918 richtungweisend werden sollten. Das polnische Problem stand zwischen den Zentralmächten, das öster­reichische Kriegsziel Polen war vorhanden und wurde in der Substanz bis 1918 nicht aufgegeben — im Gegensatz zur Polenpolitik des Deutschen Reiches, die häufigen, teilweise nur durch aktuelle Anlässe bedingten Schwankungen unterworfen war. IV „Jeder Kraftzuwachs in Polen schwächt Österreich und deshalb ist er zu verwerfen“. Dieser Satz Ludendorffs, so paradox er anmutet, ist eine nahezu aphoristische Umschreibung deutscher Politik gegenüber Öster­reich-Ungarn in der polnischen Frage: Territorialer Erwerb Österreichs in Polen wäre mit der Gefahr einer Schwächung des Deutschtums in Österreich verbunden, und Österreich könnte die ihm zukommende Stel­lung als „germanische Ostmark“ (Jagow)28) nicht mehr im Sinne Deutsch­lands innehaben. 26) Tschirschky an Bethmann Hollweg, 1914 September 1: PAAA Europa gen. 79 Bd. 12; zu den grundsätzlichen Fragen der Diskussion vgl. auch Ritter Staatskunst und Kriegshandwerk 3 127 und Galantai Kriegszielpolitik 140 f; Tschirschky berichtet von einer bemerkenswerten Auffassung des k.k. Minister­präsidenten Stürgkh: „Die Polen seien und blieben eben ,Polen1. Als solche stän­den sie in keinerlei innerem Verhältnis zu Österreich, höchstens könne man sa­gen, daß sie ein gewisses persönliches Verhältnis mit dem gegenwärtigen Träger der Habsburgischen Krone verbinde“. Zudem legt man in Wien, besonders in deutschen Kreisen, „hohes Gewicht darauf, daß das neu zu schaffende Groß- Galizien sowohl mit Österreich als mit Deutschland zu einem wirtschaftlichen Gebiete vereinigt werde“ (Sperrung aus der Vorlage übernommen). 27) Ritter Staatskunst und Kriegshandwerk 3 126. Bei Hugo H a n t s c h Leopold Graf Berchtold. Grandseigneur und Staatsmann (Graz—Wien—Köln 1963) fehlt jeder Hinweis auf diese ersten Ansätze einer österreichischen Polen­politik im Weltkrieg. 28) Ludendorff an Hans Delbrück, 1915 Dezember 12, nach Egmont Zech- 1 i n Ludendorff im Jahre 1915. Unveröffentlichte Briefe in HZ 211 (1970) 316— 353, hier 352. — Für die Bemerkung Jagows siehe die Ausführungen über dessen Promemoria Anm. 49.

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