Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)
LILLA, Joachim: Innen- und außenpolitische Aspekte der austropolnischen Lösung 1914–1916
228 Joachim Lilla Das dem deutschen Manifest zu entnehmende Unabhängigkeitsversprechen für die Zeit nach dem Krieg rief heftige Proteste seitens des k. u. k. Ministeriums des Äußern hervor. So teilte der österreichisch-ungarische Botschafter in Berlin Graf Szögyény dem Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt Zimmermann mit, Österreich-Ungarn halte „die Gründung eines unabhängigen Polen als mit unseren Interessen (rücksichtlich Galiziens) [nicht] vereinbar“ 16). Ursache für diese Ablehnung war die österreichische Absicht, Russisch-Polen der Monarchie anzugliedern. Polen wird in Österreich-Ungarn bereits zu Anfang des Krieges als Kriegsziel angesehen, wobei ein aufmerksamer Beobachter wie Josef Redlich schon beizeiten erkennt, „daß hier der gefährliche Punkt für die hohenzollern- habsburgischen Beziehungen liegt“17). Nach den Vorstellungen Graf Berchtolds soll der Anschluß in einer dem Trialismus ähnlichen Form erfolgen, ohne daß er jedoch im einzelnen die innenpolitischen Konsequenzen zu berücksichtigen scheint. Eine offizielle Darlegung der österreichischen Polenpläne, verbunden mit einer Stellungnahme zur bisherigen deutschen Polenpolitik, ist in einem Promemoria enthalten, das Szögyény am 15. August im Auswärtigen Amt überreicht18) und das — weitgehend wörtlich übernommen — auf einem Privatschreiben Berchtolds an Szögyény vom 12. August 1914 beruht19). Die von Berchtold vertretene Auffassung ist in der Grundkonzeption bis Tagebuch Redlichs 1 181 (Eintragung von 1912 November 26): „Unsere Generalstäbler, an der Spitze Schemua, hätten förmlich begonnen, die Insurrektion in Russisch-Polen zu organisieren“; ebenda 243 (Eintragung von 1914 August 5): Die russische Autonomieproklamation „wirkt lähmend auf die Insurrektionsbewegung in Galizien“. Während seiner Reise an die Ostfront im August/Sep- tember 1914 unterhält sich Redlich mit Conrad von Hötzendorff am 23. August unter anderem auch über eine Insurrektion Polens (ebenda 255, Eintragung von 1914 August 26): „Dagegen sagte ich Conrad, daß man sich bei uns falsche Vorstellungen über die polnische Insurrektion in Kongreßpolen mache, daß der Haß der Polen gegen die Preußen größer sei als ihr Russenhaß, daß die Russen an der national-allpolnischen, antisemitischen und antideutschen Strömung der Herren Dmovski und Grabski eine Stütze hätten ...“. Ferner meinte Redlich zu Conrad, „daß den Habsburgern nicht gegeben sei, revolutionäre Bewegungen anzufachen“: ebenda 254 (Eintragung von 1914 August 26). — Am 26. August überreichte der Nachfolger Szögyénys als österreichisch-ungarischer Botschafter in Berlin, Prinz Hohenlohe, im Auswärtigen Amt eine Note, in der es unter anderem heißt: „... die anfangs gehoffte polnische Aufstandsbewegung in nochfeindlichen Gebieten hat sich leider bereits als falsch erwiesen, eine Tatsache, an der nicht die Höhe unserer Versprechungen, sondern einzig und allein der Erfolg unserer Waffen etwas ändern wird“: PAAA Europa gen. 79 Bd. 12. 16) Szögyény an Ministerium des Äußern, 1914 August 11: HHStA PA I 532. n) Tagebuch Redlichs 1 245 f. 18) PAAA Europa gen. 79 Bd. 12. i®) HHStA PA I 532. Vgl. ferner Ritter Staatskunst und Kriegshandwerk 3 124 f und Werner C o n z e Polnische Nation und deutsche Politik im Ersten Weltkrieg (Köln—Graz 1958) 61 ff.