Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)
LILLA, Joachim: Innen- und außenpolitische Aspekte der austropolnischen Lösung 1914–1916
Austropolnische Lösung 1914—1916 227 rung. Aus dieser Praxis österreichischer Polenpolitik resultiert im übrigen auch die Selbstverständlichkeit, mit der Österreich-Ungarn schon in den ersten Kriegswochen den Anspruch auf einen Zusammenschluß Galiziens und Kongreß-Polens im Verband der Monarchie erhob. III „Die Polenfrage macht auf dem Ball[haus]platz schon große Schwierigkeiten. Der Aufruf des Armee[ober]kommandos an die Polen ... n) ist ohne Zustimmung Berchtolds von Conrad losgelassen worden, worüber man am Ball[haus]platz sehr verstimmt ist. Soviel ich weiß, denkt man hier nur an die Angliederung Polens an Österreich. Und Berlin“ 12)? Der von Josef Redlich erwähnte Aufruf des k. u. k. Armee-Oberkommandos war die österreichisch-ungarische Reaktion auf ein durch Veranlassung des deutschen Generalstabes — ohne Billigung politischer Stellen — am 7./8. August 1914 von Luftschiffen über Polen abgeworfenes Manifest, in dem die Polen aufgefordert wurden, sich dem Kampf gegen die „östliche Barbarei“ und für Freiheit und Unabhängigkeit anzuschließen13). Vermutlich ging der deutsche Generalstab von einer irrigen, für das Deutsche Reich positiven Hoffnung aus, die sich auf die Art des Empfangs deutscher Truppen durch die Bevölkerung in Russisch-Polen gründete. So berichtete Generaloberst von Moltke, der Chef des deutschen Generalstabs, an das Auswärtige Amt, daß eine Insurrektion Polens „auf fruchtbaren Boden fallen [werde], denn schon jetzt werden unsere Truppen in Polen fast als Freunde begrüßt“14). Die auf deutscher Seite Anfang des Krieges ernstlich diskutierte Insurrektion Polens blieb aus, ebenso wie der in die taktischen Planungen des k. u. k. Generalstabs spätestens seit 1912 einbezogene Faktor einer polnischen Erhebung im Falle des Einmarsches österreichischer Truppen ,5). ii) Die Proklamation wurde am 9. August 1914 vom k.u.k. Armee-Oberkommando herausgegeben und verkündete den Polen die „Befreiung vom mosko- witischen Joch“. *2) Tagebuch Redlichs 1 246 (Eintragung von 1914 August 10). !3) Dieser Aufruf ist gegen den Widerstand der Reichsregierung vom Generalstab durchgesetzt worden: vgl. Deutschland im Ersten Weltkrieg, hg. von Fritz Klein 1 (Berlin 21970) 378f; Gerhard Ritter Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des Militarismus in Deutschland 3 (München 1964) 124 ff; Egmont Zechlin Friedensbestrebungen und Revolutionsversuche (Teil 3) in Aus Politik und Zeitgeschichte (B 24/61) 334. 14) Moltke an Auswärtiges Amt, 1914 August 5: Deutsche Dokumente zum Kriegsausbruch 4 (Berlin 1927) 87 (Dokument n. 876). lf>) Über Art und Umfang einer systematischen Vorbereitung und aktiven Unterstützung einer polnischen Erhebung steht eine Untersuchung aufgrund des entsprechenden Aktenmaterials des Kriegsarchivs in Wien noch aus. Dennoch gibt es vor allem im Tagebuch von Josef Redlich und in den diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes einige Hinweise auf diesen Komplex: 15*