Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

LILLA, Joachim: Innen- und außenpolitische Aspekte der austropolnischen Lösung 1914–1916

226 Joachim Lilla das Bild bei der Exekutive. Die Regierung des zu bildenden Königreichs Polen sollte durch einen von Wien einzusetzenden „Kaiserlichen General­statthalter“ und den für Polen zuständigen Minister des Wiener Kabinetts ausgeübt werden. Der Amtsverkehr mit Behörden inner- und außerhalb Polens sowie den Zentralinstanzen hat in deutscher Sprache zu erfolgen; zudem wird die deutsche Sprache auf weiterführenden Schulen als Pflichtfach vorgeschrieben. In seinem Bericht an den deutschen Reichskanzler von Bethmann Hollweg vom 20. Oktober 1915 befaßt sich der deutsche Botschafter in Wien, von Tschirschky, eingehend mit dieser Denkschrift. Tschirschky hebt beson­ders hervor, daß der polnischen Autonomie in der Gesetzgebung wegen der nach übergeordneten Gesichtspunkten vom Reichsrat bzw. den Dele­gationen zu behandelnden Angelegenheiten enge Grenzen gesetzt seien, daß durch die Vermeidung der Einrichtung einer ersten Kammer der „notorisch politisch-unzuverlässige polnische Adel“ kein „Beunruhigungs­moment“ bilden könne sowie durch die Einsetzung eines kaiserlichen Generalstatthalters ein dem polnischen Landtag nicht verantwortliches Exekutivorgan geschaffen werde. Zudem weist Tschirschky bei einer Ge­genüberstellung der staatsrechtlichen Verhältnisse Ungarns und Polens ausdrücklich auf folgendes hin: „Ungarn ist ein selbständiger Staat, Polen wird ein österreichisches Kronland sein,... wenn auch mit einer gewissen Sonderstellung im Vergleich mit den übrigen Kronländern Österreichs.“ Lobend erwähnt Tschirschky die Bestimmungen über die Verwendung der deutschen Sprache im amtlichen Verkehr. Aus ihnen sei „der Wille zu erkennen, der deutschen Sprache in Österreich die für den Zusammenhalt des Staates notwendige Stellung wieder zuzuweisen“ 9). Die Denkschrift der k. k. Regierung fand im Grundsatz auch die Zustim­mung der ungarischen Regierung, die allerdings als Gegenleistung die Veränderung der Quoten zu ihren Gunsten, die volle Verfügungsgewalt über Bosnien und die Herzegowina sowie die Überlassung Dalmatiens durch Österreich forderte 10 * *). Die in der Denkschrift aufgezeigte Konzeption liegt folgerichtig auf der Linie der österreichischen Polenpolitik, deren erster bedeutender Schritt, die Verfassungsreform für Galizien, 1914 durch den Kriegsausbruch nicht mehr realisiert werden konnte. Zum Teil entsprechen allerdings die Vor­rechte des künftigen Königreichs Polen bereits den dem Königreich Ga­lizien vor 1914 stillschweigend eingeräumten Rechten — jetzt aber unter der Voraussetzung der rechtlichen Verbindlichkeit im Falle der Realisie­9) Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn (= PAAA) Weltkrieg 20 c geh. Bd. 1. 10) Prot Gem MR 312 f (Memorandum der ungarischen Regierung; Anlage B zum Protokoll der Sitzung von 1915 Oktober 5). In seiner bereits oben ein­gehender behandelten Denkschrift von 1914 August 11 (HHStA PA I 522, siehe Anm. 6) forderte Hoyos die Überlassung dieser Gebiete an Ungarn im Falle eines Anschlusses Polens an Österreich.

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