Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)
LILLA, Joachim: Innen- und außenpolitische Aspekte der austropolnischen Lösung 1914–1916
Austropolnische Lösung 1914—1916 223 erworbene Territorium in den Rahmen des einen oder des anderen Staates eingefügt werden müsse“ 4). Es ist klar, was Tisza zu dieser Argumentation veranlaßte: Zum einen ist es die Sorge vor einer Veränderung der sorgfältig austarierten Machtverhältnisse zwischen beiden Reichshälften zu Ungunsten Ungarns; zum anderen bereitete ihm das „neue Element“ — gemeint sind die Polen — Sorge, das durch den Trialismus „einen solchen Einfluß auf die Orientierung unserer Politik erhalten“ würde. Überdies wies er auf die möglichen Gefahren für das Bündnis mit Deutschland hin: Die Richtung der auswärtigen Politik Österreichs verliere die „sichere Bürgschaft..., welche sie in der paritätischen Stellung Ungarns besitzt“ durch die Einflußnahme eines „entschieden deutschfeindlichen Elements“. Diese Worte zirkulieren im Grunde um den wunden Punkt der Furcht vor möglicher Majorisierung der Ungarn durch Deutsch-Österreicher und Polen. — Das Veto Ungarns war klar und deutlich; die Erörterung des Trialismus im Gemeinsamen Ministerrat diente wohl weniger der sachlichen Diskussion als vielmehr der endgültigen Feststellung von dessen Irrealität — auch in der polnischen Frage. So kann Josef Redlich am 20. Dezember 1915 in sein Tagebuch notieren, es sei Tisza „konzediert [worden], daß am 1867-er Dualismus nichts geändert wird“ 5). Ebenfalls gegen die trialistische Lösung hatte sich bereits am 11. August 1914 der Kabinettschef des damaligen Ministers des kaiserlichen Hauses und des Äußern Grafen Berchtold, Legationsrat Graf Hoyos, ausgesprochen. In einer Denkschrift drückte er seine Befürchtung darüber aus6), daß das Hinzukommen eines dritten gleichberechtigten Staatsteils den Zusammenhalt der Monarchie noch mehr lockern würde. Die bereits im Dualismus bestehenden Schwierigkeiten bei den Erneuerungen des Ausgleichs wären erheblich vergrößert, vor allem im Bereich des Verfassungsrechts, bei den Zoll- und Handelsbündnissen wie im Wehrwesen. Eine weitere Gefährdung für den Bestand der Monarchie sieht Hoyos in der Tatsache, daß das durch den Wegfall des Dualismus überwiegend deutsche Österreich „naturgemäß gegen Deutschland gravitieren“ würde, „weil es 4) Prot Gem MR 298. Eine breitere Darlegung dieser Auffassung Tiszas, verbunden mit einem ausdrücklichen Bekenntnis zum Dualismus als einzig möglicher staatsrechtlicher Form für Österreich-Ungarn, findet sich in einem Schreiben Tiszas an Czernin von 1917 Februar 17; vgl. Ottokar Graf Czernin Im Weltkrieg (Berlin—Wien 1919) 274-—278. Hingegen äußerte Tisza am 15. Juni 1916 im ungarischen Abgeordnetenhause, „daß die polnische Frage in einer nach Tunlichkeit weitgehenden Berücksichtigung der Wünsche der polnischen Nation und ihrer Existenzinteressen geregelt werde“: vgl. Schicksalsjahre Österreichs. Das politische Tagebuch Josef Redlichs 1908—1919 (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 39 u. 40, Köln—Graz 1953/54), hg. von Fritz Fellner2 122. s) Tagebuch Redlichs 2 91. 6) Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (= HHStA) Politisches Archiv (= PA) I 522.