Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

RILL, Gerhard: Zur Geschichte der österreichischen Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien

188 Gerhard Rill lieferung eines Ingenieurs von dem Lloyddampfer „Hesperus“ an die bri­tische Behörde ging, neuerdings auf die Kapitulationen. In beiden Fäl­len mußte dem übereifrigen Beamten klar gemacht werden, daß das Ministerium des Äußern die Vorgänge auf Zypern gar nicht so genau kennen lernen wollte und daß ausschließlich politische Rücksichten auf den Status Bosniens und der Herzegowina zu gelten hätten, — wofür die kritiklose Anerkennung der britischen Gerichtshoheit auf Zypern ohne Rücksicht auf die Kapitulationen unerläßliche Vorbedingung wäre 92 93). Am 1. November 1880 wurde die britische Konsulargerichtsbarkeit in Bos­nien und der Herzegowina aufgehoben 8S). Es folgten mit 1. Jänner 1881 Deutschland und im weiteren Verlauf des Jahres Italien, Frankreich und Rußland94 *). Die außenpolitische Lösung erfolgte also via facti. Von Seite der Rechts­wissenschaft wurden im nachhinein zwei fiktive Lösungen angeboten, nämlich: 1) der Wegfall der Konsulargerichtsbarkeit ipso jure, soferne Österreich durch den Berliner Vertrag nicht nur Gerichtshoheit, sondern auch territoriale Souveränität erworben habe; 2) der Fortbestand der bis­herigen Souveränitätsverhältnisse und damit auch der Konsulargerichts­barkeit, die erst durch Verhandlungen mit den Mächten aufgehoben wer­den konnte96). Aus einem zeitgenössischen Votum geht hervor, daß die offizielle österreichische Auslegung — in Übereinstimmung mit anderen Nationen — zu einer modifizierten Form der erstgenannten Begründung hin tendierte. Danach haftet die Konsularjurisdiktion nicht an einzelnen Gebieten des Osmanischen Reiches, sondern ist „dem türkischen Staats­wesen als solchem“ zugehörig; wo türkische Rechtsprechung und Admini­stration wegfallen, erlischt eo ipso die Konsulargerichtsbarkeit96). Aller­dings ist dieser Prozeß in der Praxis dem Urteil der Signatarmächte des Berliner Vertrages unterworfen, und dies bedeutet, daß die Aufhebung der Konsulargerichtsbarkeit als ein zwangsläufig eingetretener, komplexer Vorgang unter Beteiligung aller interessierten Mächte zu werten ist. Die Okkupationsmacht trat somit die Sukzession jener Staaten an, deren Staatsbürger bisher in Bosnien und der Herzegowina eine durch die Kapi­tulationen geregelte exemte Stellung genossen hatten. 62) Korrespondenzen Pascotinis und des Konsuls in Beirut, Adolf von Schulz, 1879 und 1880: Admin. Reg. F 61/4 (Consular-Jurisdiction auf Cypern fol. 165— 314, 322—332). 93> Bericht aus London, 1880 Oktober 16: Admin. Reg. F 61/4 (Consular- Jurisdiction 2 fol. 122). 9->) Diesbezügliche Noten und Korrespondenzen ebenda (fol. 4, 10, 18—33, 40— 47, 64—66, 95). 85) Peter M. Krämmer Okkupation und Annexion Bosniens und der Her­zegowina in historischer und völkerrechtlicher Sicht (ungedr. staatswiss. Diss. Wien 1971) 84 ff. 9«) Admin. Reg. F 61/4 (Consular-Jurisdiction 2 fol. 14—17).

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