Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

RILL, Gerhard: Zur Geschichte der österreichischen Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien

Österr. Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien 189 Die staatsrechtlichen und innenpolitischen Begleitumstände können hier nur angedeutet werden. Da die Hoheitsrechte von beiden Reichshälften, also in Form eines „coimperiums“, ausgeübt wurden, ergaben sich auf­grund der Gesetzeslage verschiedene Ausgangspositionen. Während Un­garn die Aufhebung der Konsulargerichtsbarkeit nur vom Mitgehen der anderen Mächte abhängig machte, betonte das österreichische Justiz­ministerium für die westliche Reichshälfte die Notwendigkeit eines eige­nen Gesetzes; diesem werde der Reichsrat jedoch nur zustimmen, wenn Übereinstimmung mit den anderen Mächten herrsche und die Funktions­fähigkeit der Justizeinrichtungen garantiert werden könne97). Die bos­nische Landesregierung hingegen hielt eine gesetzliche Regelung für nicht opportun und erörterte drei Modalitäten: 1) die bereits in Livno und Ban­jaluka angewandte Fiktion einer Konsulatsverwesung durch einen Lan­desbeamten, — eine allerdings nur provisorische Lösung, da damit das Ziel, die Ausschaltung „jedes exceptionellen Gerichtsstandes“, nicht er­reicht werde; 2) die Fiktion eines Kriegszustandes und der daraus fol­genden Einstellung der Konsularfunktionen; 3) die via facti — mit der tröstlichen Erwartung: „Voraussichtlich wird niemand die Wiedererrich­tung der Consulate verlangen“ 98)! Außen- und innenpolitisch hatte sich also, ungeachtet aller rechtlichen Fiktionen, die via facti durchgesetzt. Die Aufhebung der Konsulargerichts­barkeit, die für die Monarchie gleichbedeutend war mit der Liquidierung ihrer Konsularämter in Bosnien und der Herzegowina, steht an jenem Punkt des politischen Koordinatensystems, an dem sich ein komplexer außenpolitischer Vorgang mit einer ebenso komplexen innenpolitischen Entwicklung, gebildet durch eine Reihe von Erlässen und Gesetzen für die okkupierten Gebiete aus den Jahren 1879—1881, schneidet. Wenn der Ju­rist die Vorstellung von einer „allmählichen Umwandlung des völker­rechtlichen Verhältnisses Bosniens und der Herzegowina zur Monarchie in ein staatsrechtliches“ ") ablehnt, dann wird der Historiker hier weniger streng urteilen. Sicher bildeten die Erlässe, die die Personalhoheit Öster­97) Justizministerium an Ministerium des Äußern, 1879 August 31, und un­garisches Min. Präsidium an Ministerium des Äußern, 1879 Oktober 3: ebenda (fol. 40—43, 38—39). *8) Beilage zu Weisung des Gemeinsamen Finanzministeriums an die Lan­desregierung, 1880 März 5: ABH GFM Allgemeine Reihe ZI. 827/1880. 9») Vgl. die gegensätzlichen Standpunkte von Ferdinand Schmid Bosnien und die Herzegovina unter der Verwaltung Österreich-Ungarns (Leipzig 1914) 15 ff, 126 ff einerseits, von Norbert Wurmbrand Die rechtliche Stellung Bosniens und der Herzegowina (Wiener Staatswiss. Studien 12/2, Wien—Leip­zig 1915) 2—19, 24 f und Kr ä mm er Okkupation und Annexion 95 ff, 100 andererseits. Über die staatsrechtlichen Verhältnisse und die Gesetzeslage all­gemein Kurt Wessely Die wirtschaftliche Entwicklung von Bosnien-Herze­gowina in Die Habsburgermonarchie 1848—1918 1: Die wirtschaftliche Entwick­lung (Wien 1973) 532 f, 535, 537 ff.

Next

/
Thumbnails
Contents