Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

RILL, Gerhard: Zur Geschichte der österreichischen Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien

österr. Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien 181 Zur Zeit der Streitigkeiten von Livno hätte demzufolge die strenge Beob­achtung der Kapitulationen nach dem Stande der türkischen Gesetzge­bung eine überflüssige Belastung der österreichisch-türkischen Beziehun­gen dargestellt. Voraussetzung für eine sinnvolle Anwendung europäisch inspirierter Gesetze wäre allerdings die Existenz eines entsprechend euro­päisch geschulten Richterstandes gewesen; darüber, daß diese Bedingung nicht erfüllt wurde, herrscht in allen Quellen völlige Übereinstimmung. Wiederholt klagten die Konsuln, es sei trotz bestem Willen ausgeschlossen, mit türkischen Richtern und Behörden wie mit europäischen dienstlich zu verkehren 67). Schon die Verschiedenheit der Beweisfindung auf öster­reichischer und türkischer Seite — wie etwa aus den Staatsbürgerschafts­ermittlungen ersichtlich war — bildete praktisch eine Garantie dafür, daß auf einunddieselbe Frage verschieden lautende Antworten gefunden wur­den. Bei der Heranziehung von Fachgutachten, etwa dem Befund eines Chirurgen, wuchsen die Schwierigkeiten ins Unermeßliche68). In den mei­sten Fällen mangelte es den türkischen Beamten nicht nur an Kenntnissen und Fähigkeiten, sondern auch an Verständigungswillen, — und dies ist ohneweiteres erklärbar, wenn man bedenkt, daß jede Verständigung nach Ansicht der österreichischen Beamten nur im Sinne der Kapitulationen und damit zu Ungunsten der Landesbehörden erfolgen konnte. Gereizt­heit, unmotivierte Verzögerungen oder der Abbruch von Gesprächen wa­ren die häufigen Folgen dieser sachlichen wie emotionellen Vorbelastung. Bestenfalls billigten die Konsuln den türkischen Organen „bei aller ihrer sonstigen Indolenz“ eine gewisse Schlauheit zu, die Schwächen des Gegners zu erkennen und Gegensätze, wie den zwischen mohammedanischen Grundbesitzern und der Rajah, auszunützen 69). Aus staatlichen und religiösen Gründen galt den Mohammedanern der 18. Februar 1856, der Tag des Hatti Humayun, als „Tag der Trauer“ für den Islam. Die konservative mohammedanische Oberschicht und die Beamten­schaft Bosniens waren hierin einer Meinung. Aber selbst bei Außeracht­lassung dieser religiösen Oppositionshaltung hätten die ausschließlich im geistlichen Recht bewanderten Richter einer eigenen Schulung im euro­päischen Recht (was für Statthalter auch vorgesehen war) bedurft, und auch damit wäre nach dem Hatti Humayun, dessen Befolgung eine Um­wandlung des gesamten öffentlichen Lebens, nicht nur der Rechtsprechung, bedingt hätte, nur ein Teil der Anforderungen erfüllt worden. Im Zwie­spalt, Recht „scheren“, das heißt nach dem geistlichen (Scheriats-)Recht, oder „nizämen“, das heißt nach weltlichem Recht, zu sprechen, mußte der Kadi zwangsläufig auf den Weg des ersteren geführt werden, —• und dies lag auch in seinem Ermessen, da er zugleich Präsident des Zivil­67) Besonders im Bericht Jovanovic, 1862 Juli 26: Admin. Reg. F 8/35 (Bos­nien-Herzegowina, Sarajevo — Streitfälle Livno). 68) Dembicki an Jovanovic, 1863 Jänner 26: Admin. Reg. F 8/34 (Livno). 69) Bericht Jovanovic, 1862 Mai 20: PA XXXVIII151.

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