Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

RILL, Gerhard: Zur Geschichte der österreichischen Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien

182 Gerhard Rill gerichtes und Leiter des Scheriatsgerichtes war. Die vor dem Tanzimat oft erkennbare Reformfreudigkeit der Ulema hatte sich, nicht zuletzt unter dem Eindruck des westlichen Diktates, in das Gegenteil gekehrt. Oft er­klärte ein gewissenhafter Kadi, er wolle lieber demissionieren als das Scheriatsrecht dem konfessionellen Gleichheitsprinzip unterordnen 70). Die Besonderheit im Aufeinandertreffen von lokaler und konsularischer Gerichtsbarkeit liegt aber vor allem darin, daß eine relativ kleine Gruppe, die der österreichischen Untertanen, aus einer viel größeren Bevölke­rungsschicht, der Rajah, herausgehoben und privilegiert wurde. Eine Rechtsgrundlage für die Konsuln, auch den türkischen Untertanen christ­lichen Bekenntnisses in irgendeiner Form Rechtsschutz zu gewähren, be­stand nicht. Wenn sich Österreich als Schutzmacht der Katholiken im Osmanischen Reich deklarierte71), dann war dieser Anspruch nur dort aufrecht zu erhalten, wo er durch die Kapitulationen gedeckt war, — nämlich in bezug auf österreichische Staatsbürger; sobald hingegen auch türkische Untertanen einbezogen werden sollten, wurde er zu einem Ge­genstand „äußerst zarter Natur“. Die Friedensverträge von Karlowitz (Art. 13), Passarowitz (Art. 11), Belgrad (Art. 9) und Sistowa (Art. 12) wie auch der vielgenannte Artikel 5 des Passarowitzer Handelsvertrages er­gaben eine sehr schmale Basis, wobei die nur in den Friedensverträgen, nicht in den Kapitulationen, enthaltenen Bestimmungen so gut wie keine praktischen Konsequenzen hatten72). Auch als „angrenzende katholische Großmacht“ hatte Österreich nicht die Möglichkeit, den Christen in Bos­nien — abgesehen von einzelnen Interventionen — einen ständigen Rechts­schutz zu gewähren 73). Die Hilflosigkeit der Konsuln gegenüber provoka­tiven Raj ah-Verfolgungen wurde schon erwähnt; „freundschaftliche Da- zwischenkunft ... selbstverständlich im außerämtlichen Wege“ war alles, was bei den Lokalbehörden zu Gunsten der Rajah versucht werden konn­te 74). Die damit so deutlich demonstrierte Beschränkung des konsulari­schen Schutzes auf österreichische Staatsbürger wie auch auf den Grund­satz, man empfinde Sympathie für Christen, nicht aber für Revolutio­70) Abhandlung des Vizekonsuls von Scutari, Julius Günner, über die Zulassung der Nicht-Mohammedaner zur Zeugenschaft vor den türkischen Ge­richten (Beilage zu Bericht aus Konstantinopel 1875 Dezember 24): Admin. Reg. F 30/46 (Zeugenvernehmung); vgl. Uriel Heyd The Ottoman Ulema and Westernization in the time of Selim III and Mahmud II in Studies in Islamic History and Civilization (Scripta Hierosolymitana 9, Jerusalem 1961) 63—98; Davison Reform 136 ff. 71) „... die Mir traktatenmäßig zustehenden Protections Rechte über christ­liche Unterthanen der Pforte ..kaiserliches Handschreiben, 1853 Juni 24 in HHStA Ministerkonferenzkanzlei ZI. 2069/1853. 72) Vgl. Pellissié du Rausas Le Régime 2 121ff. Vertragstexte bei Testa Recueil 9 65, 78, 96, 163. 72) Weisung an das Generalkonsulat Sarajevo, 1857 Dezember 15: ABH GKsS Reservatprotokoll ZI. 23/1857. 74) Weisung an Jovanovic, 1862 September 4: PA XXXVIII 151.

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